Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
Vom Netzwerk:
Während des ganzen Heimwegs hielt Singer die Arme der beiden fest an sich gedrückt und lächelte. In ihrer Wohnung war es gemütlich; er ging vergnügt hin und her und unterhielt sich mit Carl. Nach dem Essen redeten sie weiter, während Antonapoulos ihnen träge lächelnd zusah. Der dicke Grieche watschelte mehrmals zum Wandschrank und goss ihnen Gin ein. Carl saß am Fenster, trank nur, wenn Antonapoulos ihm das Glas geradezu aufdrängte, und auch dann nur in feierlichen Schlückchen. Singer hatte noch nie erlebt, dass sein Freund zu einem Fremden derart herzlich war, und er freute sich schon darauf, dass Carl sie nun öfter besuchen würde.
    Mitternacht war vorbei, als das geschah, wodurch ihr fröhliches Zusammensein verdorben wurde. Antonapoulos kam wieder einmal vom Wandschrank zurück, diesmal mit finsterer Miene. Er setzte sich auf sein Bett und warf dem neuen Freund immer wieder beleidigte und angewiderte Blicke zu. Um dieses seltsame Verhalten zu vertuschen, machte Singer eifrig Konversation, aber der Grieche hörte nicht auf. Carl saß zusammengekauert auf einem Stuhl, rieb sich die spitzen Knie und schien von den Grimassen, die der dicke Grieche schnitt, ebenso fasziniert wie verwirrt zu sein. Er errötete und schluckte ängstlich. Schließlich konnte Singer die peinliche Situation nicht länger ignorieren, und er fragte Antonapoulos, ob er Magenschmerzen habe oder sich vielleicht nicht wohl fühle und schlafen gehen wolle. Antonapoulos schüttelte den Kopf. Er deutete auf Carl und vollführte alle unanständigen Gebärden, die er kannte. Der angeekelte Ausdruck auf seinem Gesicht war grässlich anzusehen. Carl wurde ganz klein vor Angst. Schließlich knirschte der dicke Grieche mit den Zähnen und erhob sich. Carl griff nach seiner Mütze und stürzte aus dem Zimmer. Singer ging ihm nach. Wie sollte er dem Fremden das Benehmen seines Freundes erklären? Carl stand schlotternd zusammengekrümmt, die Schirmmütze ins Gesicht gezogen, unten an der Haustür. Schließlich gaben sie sich die Hand, und Carl ging.
    Antonapoulos erklärte ihm, ihr Gast hätte sich unbemerkt zum Wandschrank geschlichen und den ganzen Gin ausgetrunken. Er war durchaus nicht davon zu überzeugen, dass er selber die Flasche geleert hatte. Der dicke Grieche saß mit traurig-vorwurfsvoller Miene im Bett. Große Tränen rannen langsam über sein rundes Gesicht in den Ausschnitt seines Unterhemdes; er war untröstlich. Schließlich schlief er ein, während Singer noch lange im Dunkeln wach lag. Carl sahen sie nie wieder.
    Einige Jahre später kam dann die Zeit, in der Antonapoulos das zurückgelegte Mietgeld aus der Vase auf dem Kaminsims nahm und für Spielautomaten ausgab. Der Sommernachmittag, an dem Antonapoulos splitternackt auf die Straße ging, um die Zeitung zu holen. Er litt so sehr unter der Sommerhitze. Sie kauften auf Abzahlung einen elektrischen Kühlschrank, und Antonapoulos lutschte ununterbrochen Eiswürfel und nahm sogar beim Schlafengehen ein paar davon mit ins Bett. Dann der Tag, an dem Antonapoulos sich betrank und ihm eine Schüssel Makkaroni ins Gesicht warf.
    Diese hässlichen Erinnerungen durchzogen in den ersten Monaten seine Gedanken wie falsche Fäden einen Teppich. Dann aber war es aus damit. Die unglücklichen Stunden ihres Zusammenlebens waren vergessen. Je weiter das Jahr fortschritt, umso tiefer schürften seine Gedanken, bis er bei dem Antonapoulos angelangt war, den nur er kannte.
    Dieser Antonapoulos war der Freund, dem er alles sagte, was er auf dem Herzen hatte. Der Antonapoulos, von dem er allein wusste, wie weise er war. Von Monat zu Monat gewann der Freund in seiner Vorstellung an Größe, und im Dunkel der Nacht erschien ihm sein ernstes, kluges Gesicht. Das Bild des Freundes in seinem Herzen veränderte sich so, dass er sich auf nichts Ungehöriges oder Albernes mehr besann – nur noch auf das Kluge und Gute.
    Er sah Antonapoulos vor sich in einem großen Sessel sitzen. Gelassen und reglos saß er da. Sein rundes Gesicht trug einen rätselhaften Ausdruck, um seinen Mund spielte ein weises Lächeln, und seine Augen waren unergründlich. Er sah alles, was Singer ihm erzählte, vor sich und verstand ihn kraft seiner Weisheit.
    So sah der Antonapoulos aus, der sein ganzes Denken beherrschte. Diesem Freund wollte er alles erzählen, was sich zugetragen hatte. Denn in diesem Jahr war etwas geschehen. Er fühlte sich zurückgelassen in einem fremden Land. Allein. Die Augen waren ihm aufgegangen, und

Weitere Kostenlose Bücher