Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
taub bin, aber sie denkt, ich verstehe etwas von Musik.
Der Schwarze ist krank; er hat die Schwindsucht, aber es gibt kein gutes Krankenhaus, wo er hingehen könnte, weil er ein Schwarzer ist. Er ist Arzt und arbeitet mehr als irgendjemand, den ich kenne. Er redet gar nicht wie ein Schwarzer. Andere Neger kann ich schwer verstehen, weil sie die Zunge beim Sprechen nicht richtig bewegen. Dieser Schwarze macht mir manchmal Angst. Er hat glühende, glänzende Augen. Er hat mich zu einem Fest eingeladen, und ich bin hingegangen. Er hat viele Bücher. Aber keine Kriminalromane. Er trinkt keinen Alkohol, isst kein Fleisch und geht nicht ins Kino.
Jawohl, Freiheit und Ausbeuter, jawohl, Kapital und Demokraten, sagt der Hässliche mit dem Schnurrbart. Dann widerspricht er sich selber und sagt, Freiheit ist das höchste Ideal. Wenn ich bloß die Chance hätte, Musikerin zu werden und diese Musik in mir aufzuschreiben. Ich brauche nur eine Chance, sagt das Mädchen. Man erlaubt uns nicht zu dienen, sagt der Schwarze. Das ist es, was mein Volk dringend braucht. Aha, sagt der Besitzer des Café New York. Er ist sehr nachdenklich.
So reden sie, wenn sie in meinem Zimmer sitzen. Diese Worte in ihren Herzen lassen ihnen keine Ruhe, deshalb sind sie immer so beschäftigt. Vielleicht denkst Du jetzt, wenn sie alle zusammen sind, dann sind sie so wie die von unserem Verein, die in dieser Woche zu der Tagung in Macon kommen. Aber das ist nicht der Fall. Heute waren sie alle gleichzeitig bei mir. Sie saßen da, als käme jeder von ihnen aus einer andern Stadt. Sie waren sogar unhöflich, und Du weißt, ich habe immer gesagt, dass es nicht recht ist, unhöflich oder rücksichtslos zu sein. Das war die Situation. Ich begreife das nicht, deshalb schreibe ich Dir, denn ich glaube, Du wirst es verstehen. Mir ist ganz sonderbar zumute. Aber nun genug davon, sicher hängt es Dir schon zum Hals heraus. Mir auch.
Fünf Monate und einundzwanzig Tage sind nun vergangen. Die ganze Zeit war ich allein, ohne Dich. Ich kann nur an eins denken: wie es sein wird, wenn ich wieder bei Dir bin. Ich weiß nicht, was werden soll, wenn ich nicht bald zu Dir fahren kann.
Singer legte erschöpft den Kopf auf die Werkbank. Der Geruch und das Gefühl des glatten Holzes an seiner Wange erinnerten ihn an seine Schulzeit. Die Augen fielen ihm zu, ihm war elend zumute. Antonapoulos’ Gesicht verfolgte ihn, er vermisste ihn so schmerzlich, dass ihm der Atem stockte. Dann richtete Singer sich wieder auf und griff zur Feder.
Das Geschenk, das ich für Dich bestellt habe, kam nicht rechtzeitig für das Weihnachtspaket. Ich erwarte es in Kürze. Ich glaube, es wird Dir gefallen. Ich denke ständig an uns und kann mich an alles erinnern. Ich habe solche Sehnsucht nach dem Essen, das Du immer gekocht hast. Kürzlich war in meiner Suppe eine Fliege mitgekocht. Sie schwamm zwischen dem Suppengrün und den Buchstaben-Nudeln. Aber das ist nicht so schlimm. Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, dass ich diese Einsamkeit kaum ertragen kann. Bald komme ich zu Dir. Ich habe erst in sechs Monaten Urlaub, aber vielleicht kann ich es schon vorher einrichten. Ja, das muss ich wohl. Ich kann einfach nicht mehr allein sein, ohne Dich, der mich versteht.
Für immer Dein
John Singer
Es war zwei Uhr morgens, als er nach Hause kam. Das große Haus voller Menschen war stockfinster. Er tastete sich vorsichtig, ohne zu stolpern, die drei Treppen hinauf. Er nahm die Uhr, den Füllfederhalter und seine Notizkarten aus den Taschen. Dann hängte er seine Kleider ordentlich über die Stuhllehne. Der Schlafanzug aus grauem Flanell war warm und weich. Er hatte kaum die Decke zum Kinn hochgezogen, da schlief er auch schon.
Aus dem schwarzen Nichts des Schlafs löste sich ein Traumbild: eine düstere, von trüben Laternen beleuchtete Steintreppe. Oben kniete Antonapoulos. Er war nackt und hielt über seinem Kopf irgendetwas, zu dem er aufsah, als würde er es anbeten. Er selber kniete einige Stufen tiefer, ebenfalls nackt und frierend, und konnte den Blick nicht von Antonapoulos und dem Gegenstand über seinem Kopf wenden. Hinter sich am Fuß der Treppe spürte er den mit dem Schnurrbart, das Mädchen, den Schwarzen und den vierten Besucher. Auch sie knieten dort nackt, und er fühlte ihre Blicke in seinem Rücken. Und hinter ihnen im Dunkeln knieten noch mehr Menschen, unvorstellbare Massen. Seine Hände waren riesige Windmühlenflügel. Er starrte fasziniert auf das Unbekannte, das Antonapoulos
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