Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
begegneten. Dabei war ihr Verhältnis schon seit langem auf eine Art Höflichkeit abgekühlt, die keinen von beiden zu irgend etwas verpflichtete, aber den Anschein eines zivilen Umgangs aufrechterhielt.
    Es liegt am Abitur, dachte Giovanni, sie haben das Gefühl, mir helfen zu müssen. Schließlich erklimme ich die vorletzte Sprosse der Leiter, die sie für mich aufgestellt haben. Ach herrje, was bin ich wieder gut im Dichten. Die vorletzte Sprosse der Leiter ... Große Klasse. Toll.
    Die Prüfungen gingen vorbei, eine nach der anderen, und am Ende war es Giovanni egal, ob er bestanden haben würde oder nicht. In einem Brief von Laura stand: Du brauchst ein Stück Papier, sonst stimmt es nicht. Du kannst nicht sagen, ich bin intelligent, es muß schon irgendwo geschrieben stehen. Mit Stempel, sonst taugt es nichts. Wenn Du Dein Abiturszeugnis hast, bist Du endlich genauso intelligent wie ich. Ist das nicht toll? Dann können wir von gleich zu gleich miteinander reden. Ich freu mich schon drauf.
    Ihr Spott tat ihm gut. Warum war sie nur so weit weg? Und so lange? Schon jetzt war es zu lange. Sie war nur noch eine Fiktion. Irgendwo existiert Laura und versteht mich, dachte er. Irgendwo, wo ich sie nicht sehen, nicht anfassen und nichts fragen kann.
    Er bestand das Abitur mit der Gesamtnote Drei Komma acht und ärgerte sich, daß er für zwei Dezimalstellen zuviel gelernt hatte. Er tauchte auf wie aus einem tiefen Tunnel, blinzelte überrascht in eine wieder warm gewordene Welt, in der jetzt alles neu und anders war. Es fühlte sich an wie früher, wenn er zwei Mark gehabt hatte und sich, angesichts des ungeheuren Reichtums, einfach nicht entscheiden konnte, was damit zu tun sei. Zehn Hanutas, fünf Mars, zwanzig Karamelstangen oder eine Mischung aus allem? Oft hatte er die Münze tagelang herumgedreht, um dann etwas völlig anderes zu kaufen. Zum Beispiel weißes Isolierband für den Fahrradlenker.
     
    Er besuchte Paul, um von seinem Triumph zu berichten. »Ich bin jetzt genauso intelligent wie Laura«, sagte er. Aber Paul, der das kleine Schwimmbad im Garten putzte, schlenkerte wortlos den Schlauch hin und her, als sei dieser ein gebrochenes Glied seines eigenen Körpers, über dessen lächerliche Bewegungen er staunte.
    »Was ist los?« fragte Giovanni.
    »Ich, meinen Job.«
    »Was?«
    »Ich bin meinen Job los. Gekündigt. Ich bin ein Sympathisant.«
    Giovanni erschrak. »Sie wissen von dir und Sabine und haben dir deshalb gekündigt?«
    Natürlich wußten sie von seiner Freundschaft mit Sabine, wieso sonst hätte damals der Polizeiwagen
    vor dem Haus stehen sollen. Aber wie kam das an die Uni?
    »Hast du dein Abitur?« fragte Paul.
    »Ja.«
    Sie schwiegen einige Zeit. Giovanni setzte sich auf die Terrassenmauer und sah Pauls fahrigem Hantieren mit dem Wasserstrahl zu.
    Mehr zu sich selber als zu Giovanni sagte Paul irgendwann: »Weißt du, was mich am meisten daran stört, ist, daß die einfach über mich verfügen. Ich meine jetzt nicht den Rektor. Daß der mich rausschmeißt, wenn ihm der Verfassungsschutz den Zettel reinreicht, das wundert mich nicht. Nicht bei dem Mann und nicht bei dieser Hochschule. Was mich rasend macht, ist, daß mich einen Tag nach meiner Kündigung eine Frau anruft - der Name tue nichts zur Sache - und mich >kontakten< will. Die verfügen über mich. Ich bin deren Freiwild. Plötzlich kann mich jeder brauchen. Verstehst du, daß mich das rasend macht?«
    »Ich glaub schon«, sagte Giovanni.
    »Das kann jetzt eine von der RAF gewesen sein, vom 2. Juni, von der Polizei, vom Verfassungsschutz, sie kann mich als medienwirksamen Märtyrer wollen, als mögliches Mitglied, als Trottel, als Spitzel ... Was glauben diese Leute eigentlich? Ich stehe nicht zu deren Verfügung.«
    »Was hast du ihr denn gesagt am Telefon?«
    »Sie solle mich in Ruhe lassen, ich wolle nichts mit ihr zu tun haben.«
    »Na, ist doch gut«, sagte Giovanni, »dann bist du sie doch los.«
    »Ach, das glaubst du. Wenn sie von der RAF ist, dann denkt sie doch, der ist aber schlau, er kann nicht sagen, was er denkt, weil er abgehört wird, und paßt mich irgendwann auf der Straße ab. Verstehst du? Irgendwann zupft mich eine Heldin am Ärmel und will mir ’ne Pistole besorgen. Ich werde wahnsinnig bei der Vorstellung. Und jetzt nimm mal an, sie ist vom Verfassungsschutz. Ja? Also, sie ist vom Verfassungsschutz. Ich lasse sie abfahren, und sie denkt, aha, der ist aber schlau, er glaubt, daß er abgehört wird, also hat er

Weitere Kostenlose Bücher