Das Herz ist eine miese Gegend
können.
Das Klare, die Geradlinigkeit und der warmherzige Spott, das war Laura. Eine Botschaft von ihr. Sie hat mich besucht, dachte oder träumte er, sie sucht mich noch.
Eine ganz andere Zuneigung als vor dem Einschlafen empfand er für Karen, als sie gegen elf Uhr erwachten. Sie war Laura. Ihre Verbindung war alt und sicher und bedurfte keiner Erklärungen. Er küßte sie neben die Mundwinkel und fragte: »Bereust du mich schon?«
»Ja«, sagte sie, »aber mit Freuden.«
Jetzt am Tag war das Dilemma wieder da. Wie sollten sie zurück in den verbogenen Zustand mit Maja, Carlo und einem sicherlich sehr zerrissenen Stefan? Sie beschlossen, beide abzureisen, da Giovanni sowieso nichts mehr zu tun hatte und dieser Knotentanz, den sie aufführten, Erstickungsgefahr in sich barg.
Der Portier trat an ihren Tisch mit der Nachricht, Herr Moninger sei mit Begleitung abgereist und bitte, ihnen diesen Brief auszuhändigen. Da stand: Hallo, ihr beiden, wir fahren ein paar Tage an die Ostsee. Bis ich mit dem Mischen anfange, will ich noch die Ohren freikriegen. Wir wollten euch nicht wecken. Gruß von Maja und Carlo. Stefan. P. S. Euer Zimmer ist bezahlt.
»Wirst du es ihm sagen?« fragte Giovanni und mußte lächeln, denn diese Frage wurde bestimmt millionenmal täglich an irgendeinem Frühstückstisch gestellt.
»Nein«, sagte sie, »gar nichts mehr werde ich ihm sagen. Ich werd ihn nicht mehr sehen. Hab keinen Erklärungsbedarf mehr.«
»Soll ich?«
»Mir egal. Kannst du machen. Mich geht’s jedenfalls nichts an.«
Er fuhr sie nach Hause. Bis Osnabrück brauchte er nur zwei Stunden, die sie auf dem Beifahrersitz verschlief. Sie lud ihn ein, bei ihr zu übernachten. Nach Hause würde er acht Stunden brauchen. Mindestens.
Am Nachmittag gingen sie ins Kino, dann essen, dann spazieren durch die Stadt, und bei alldem redeten sie wenig. Zwar erzeugte ihr Schweigen keine unangenehme Distanz, aber es war doch ein Zurückkehren beider zu sich selbst, ein Kappen der Verbindungsleinen. Was sollte er auch sagen? Sie war Laura und nicht Laura. Seit der Nacht gingen ihm nur Dinge durch den Kopf, die er Laura zu sagen hätte. Karen war die falsche Adresse. Und ihr schien es nicht anders zu gehen. Er hatte ihr von Stefan fortgeholfen, sie hatte ihm Laura gegeben. Beide hatten einander gutgetan, aber ein Liebespaar waren sie nicht geworden. Sie hatten sozusagen im Auftrag gehandelt. Und aneinander vorbei.
Als sie nachts noch einmal miteinander schliefen, war denn auch aller Zauber verschwunden, und sie merkten, daß sie nicht den andern meinten. Sie bereuten es wohl beide, aber sprachen nicht davon, sondern suchten einander zu trösten. Doch selbst dieser Trost verfehlte sein Ziel, denn auch er galt eher der vertretenen Person.
So war da auch am Morgen keine Trauer, als sie sich trennten und sagten »Mach’s gut« und »Danke« und »Tschüß«. Und sonst nichts.
Zu Hause verbrachte er viel Zeit an seinem Lieblingsflipper, trödelte gelegentlich mit einem jungen Trickfilmer durch die Kneipen und las Bücher bis spät in die Nacht. Und immer mit dem Gefühl, daß Laura in der Nähe sei.
Auf einmal wieder war es gut, allein zu sein. Was immer sich In den letzten Jahren wie Leere angefühlt hatte, war jetzt Platz geworden. Platz, den Laura brauchte. Er war manchmal kurz davor, mit ihr zu sprechen, und mußte sich beherrschen, um nicht Dinge zu sagen wie: »Hauptsache, du bist da.« Zu einem Hirngespinst.
Irgendwann kam die fertige Platte mit der Post und darauf in Stefans Handschrift der Satz »Danke für alles, wie immer«. Kein Hinweis auf irgendein Problem. Von Karen hörte er nichts.
Und irgendwann fand er statt seines teuren PeugeotRennrades nur noch die durchgesägte Kette vor der Haustür. Das gab ihm einen Stich. Zwar war die Stadt zu hügelig, als daß ein so fauler Mensch wie Giovanni viel Freude an einem Fahrrad gehabt hätte, aber das Peugeot war erst vier Wochen alt, und er hatte vorgehabt, seinen Bauchansatz damit wegzustrampeln.
Die lächerlich herabhängende Stahlkette schien einen merkwürdigen Zauber auszustrahlen. Fast glaubte er, etwas oder jemand, am besten Laura, müsse um die nächste Ecke kommen Etwas Großartiges jedenfalls. Aber nichts und niemand kam kein Scheck und keine gute Nachricht. Und Stefans neue Platte tat sich schwer.
Der Zusammenhang von Fahrradverlust und Glücksgewinn existierte nicht mehr.
Giovanni schlief hin und wieder mit einer verheirateten Frau, die weiter nichts als das
Weitere Kostenlose Bücher