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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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von ihm erwartete, vermied es, seinen anderen oberflächlichen Affären zu nahe zu kommen, und meldete sich morgens verkatert bei Laura zurück, die irgendwo zwischen den Seiten eines Buches, in den Falten eines Vorhang, oder den Buchstaben seiner Schreibmaschine auf ihn wartete. Nie mehr übrigens in den Tönen eines Liedes, außer seinem eigenen, das er selten, aber dann berührt, im Radio hörte.

 
EINUNDVIERZIG
    Am Bauzaun eines Herrenbekleidungsgeschäfts stand in großen roten Lettern »Der Verkauf geht weiter«. Das sah genau so aus wie die Graffitti an den Hauswänden, auf denen Holger Meins ins revolutionäre Jenseits nachgerufen wurde: »Der Kampf geht weiter«. Es stimmte beides. Dem Verkauffielen wie immer Wälder, Familien und Tiere zum Opfer und dem Kampf schon am Anfang des Jahres Klaus Jürgen Rattay in Berlin.
     
    Den Winter über schrieb Giovanni mit einem Rundfunkredakteur ein deutsches Rocklexikon. Darin standen dann Sätze wie »Die Post ging tierisch ab, seit der neue Drummer das Kit malträtierte« oder »Zwischen Backline und PA trieben zwölf Gestalten ihr grooviges Unwesen.« Giovanni war’s egal. Sein Honorar war fest, und seinen Namen kannte keiner.
    Im April flog er mit dem Trickfilmer und dessen Freundin nach Kreta. Merkwürdig, die beiden waren acht Jahre jünger, aber ihn verband mehr mit ihnen als mit den meisten Gleichaltrigen. Allein die Art, wie sie ineinander verliebt waren, erinnerte ihn an Laura und sich. Da war so eine Zuversicht und Selbstverständlichkeit, so eine Normalität des Zusammengehörens, die er bei Gleichaltrigen nirgends mehr sah.
    Sie waren anders, hatten dieselbe Scheu, irgendwo dazuzugehören, dieselbe Vorsicht gegenüber den Gewohnheiten und Ansichten ihrer Cliquen, dasselbe Tasten nach Erfahrung und leise Horchen hinaus ins Leben wie er selbst.
    Anfang Juni kam Stefan zu Besuch, um an Texten für die nächste Platte zu schleifen.
    Sie arbeiteten an den Songs, notierten Ideen für Arrangements und hielten sich häufig in Kneipen auf, in denen Stefan damit rechnen konnte, erkannt zu werden.
    Ganz offensichtlich wußte er nichts von Giovannis Nacht mit Karen, und ganz offensichtlich hatten sie sich nicht getrennt, denn er erwähnte sie einmal im Zusammenhang mit Ereignissen, die später stattgefunden hatten.
    Durch die Arbeit mit Stefan geriet auch Karen wieder in Giovannis Bewußtsein. Nur war er sich nie sicher, an wen er gerade dachte. Laura oder Karen? Denn auch Laura war wieder verschwunden, versunken im Trott, gegangen aus den Zeilen, Falten und Buchstaben. Sogar aus dem Lied, das überdies im Radio schon lange nicht mehr lief.
    Längst auch war das Radio nicht mehr die Stimme der Außenwelt. Es war nurmehr eine Maschine, aus der schlechte und weniger schlechte Musik kam. Eine Art akustisches Fenster in die verschiedensten Studios und sonst nichts. Auch Musik bedeutete nichts mehr. Musik war Arbeit. Man schrieb Texte, die irgend jemand mögen sollte, oder Artikel über Songs, über Gruppen, Komponisten, Sänger und Studios. Musik war Dienst nach Vorschrift, Rohstoff oder Produkt einer Beschäftigung zum Geldverdienen. Kein Weinen ohne Augen. Kein Glanz auf Lauras Haar. Keine Laura, kein Ilse, kein Bo. Giovannis ganzes Leben war in zwischen Dienst nach Vorschrift geworden.
    Als er Karen im Sommer im Studio wiedersah, verhielt sie sich leicht angespannt und scheu. Kleine Zeichen mit den Augen, kleine Zeichen mit der Hand, und ansonsten wich sie seiner Nähe aus. Demonstrativ hing sie an Stefan, appellierte damit an Giovannis Zurückhaltung und zeigte sich doch deutlich vor. Als wolle sie damit sagen: Lieb mich oder beachte mich, aber fordere kein Bekenntnis. Ein seltsames Doppelspiel. Giovanni reiste ab, sobald es ging.
    Auf einem Festival Ende September traf er sie wieder. Sie war allein. Sie gingen in ein Restaurant und redeten. Über die Buchhandlung, in der Karen jetzt angestellt war, die Arbeit an dem Rocklexikon, über Urlaube, Bücher und Freunde. Es war, als holten sie versäumtes Reden nach, lernten jetzt einander kennen. Und sprachen konzentrische Kreise. Immer näher zu einer Mitte, in die sie beide paßten. Sie wurden Freunde. Am Abend sagte Karen: »Du gehst mir schon noch im Kopf rum.«
    »Ja«, sagte Giovanni nur und küßte sie zum Abschied auf die Wange.

 
ZWEIUNDVIERZIG
    Im Iran schien der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben worden zu sein. Diese Ansicht allerdings wiese der Beelzebub weit von sich. Wenn ihn westlicher Unsinn

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