Das Herz ist eine miese Gegend
das sie in nächtelanger Arbeit mit einer ausgeliehenen Schneidemaschine zerkleinert hatten, heranzuschaffen. Sie arbeiteten von nachts um elf bis morgens um fünf und klebten Scheibe an Scheibe mit Tapetenkleister an den Boden. Als die ersten Frühaufsteher auf dem Weg zum Bäcker empört haltmachten, standen sie beide übermüdet, aber stolz vor ihrer Brotwüste und trugen jeder ein Schild um den Hals, auf dem stand: Brot für die Kunst. Bis zehn Uhr morgens warf niemand auch nur eine Mark in die hoffnungsvoll hingestreckten Sammelhüte, und niemand, außer einer Gruppe von Punks, die gegen acht Uhr nach Hause taumelten, wagte es, den Brotboden zu betreten.
Endgültig aufgelöst wurde der Menschenauflauf durch die Polizei genau vier Minuten nach zehn. Ilse und die Bildhauerin hatten sich zwar wacker geschlagen, aber wieder sprach die Presse nicht von Kunst, sondern von einem Skandal. Nur der >Tip< ließ einen Professor der HdK zu Wort kommen, der das provokante und plakative Element dieses Environments hervorhob und der Ansicht war, ein Senat, der die Moderne nicht verschlafen wolle, habe solche Kunst zu unterstützen.
Als Ilse einige Tage später beim >Tip< anrief und um eine Spendenaktion bat, wurde er allerdings lachend abgewimmelt. Zusammen mit der Strafe für das Erregen öffentlichen Ärgernisses beliefen sich die Kosten des Kunstwerks, einschließlich Brotkauf, Straßenreinigung, Benzingeld und einer von empörten Charlottenburgern zerrissenen Jacke, auf viertausendsiebenhundert Mark und zweiundsechzig Pfennige. Der näherrückende Zahlungstermin entzweite denn auch das Künstlerteam und beendete Ilses diesmaliges Berliner Gastspiel.
Giovanni saß gerade an der Formulierung von Texten für das Festivalprogrammheft des Club Voltaire, verfluchte sich selber, weil er dieses Ehrenamt angenommen hatte, und wünschte sich, durch die föhnige Märznacht zu schlendern, einen Wein zu trinken und gegen seinen Flipper zu kämpfen. Aber er hatte die Ablieferung für den nächsten Tag versprochen, und es mußten noch sieben Infotexte von Musikern, Gruppen und Rednern in die einheitliche Sprache des Heftes übertragen werden.
Es war halb eins, als es an der Tür klingelte und eine auffordernde Stimme »Naaa?« in die erst kürzlich eingebaute Sprechanlage quakte.
»Wer?« fragte Giovanni.
»Rodscher«, sagte die Stimme, »mit Anhang.«
Weder unter Rodscher noch unter Anhang konnte sich Giovanni etwas vorstellen, aber er drückte auf den Knopf. Die eine der Stimmen im Treppenhaus klang nach Ilse, und er hatte sein resigniertes Schulterzucken schon hinter sich, als dieser mit einer schwarzhaarigen Frau um die Ecke bog und breit grinsend die letzten Stufen nahm.
»Das ist Elke«, sagte er, »und das ist mein Freund Giovanni.«
»Kommt rein«, sagte Giovanni und fragte sich, wie er das Programmheft noch fertigbekommen sollte. Er holte Wein aus dem Kühlschrank und registrierte mit einem Blick aus den Augenwinkeln, wie stolz Ilse die Wohnung vorführte.
Die Furcht, er könne hier einziehen wollen, war jedoch unbegründet, denn gleich erfuhr Giovanni, daß man unterwegs nach Freiburg sei, um sich dort mit anderen zu treffen, die gemeinsam nach Ithaka auswandern wollten. »Nur heut nacht, wenn’s geht«, sagte Ilse.
»Gern«, sagte Giovanni, »aber ihr müßt mich bald entschuldigen, weil ich noch bis morgen was fertig machen muß.«
Sie saßen in der Küche, und Giovanni hörte zu. Elkes Fragen entnahm er, daß Ilse mit seiner Prominenz angegeben hatte. Beziehungsweise dem, was er dafür hielt. Sie habe drei Platten von Stefan Moninger, sagte sie, höre aber inzwischen Hannes Wader viel lieber. Und Wolfgang Ambros.
»Ich hatte mal eine Weile Klauaufträge«, mischte sich Ilse ein. »Schallplatten. Ich hab Schallplatten auf Bestellung geklaut. und nie hat einer Moninger bestellt.«
»Na und?« fragte Giovanni.
»Dafür lebst du ganz gut«, grinste Ilse und ließ seinen Blick durchs Zimmer kreisen.
»Ich hab auch noch ein, zwei Jobs mehr.« Giovanni war das Thema unangenehm. Er fürchtete, Ilse könnte neidisch sein. Wer mit anderen angibt, haßt sie auch dafür. Und wenn es nur ganz leise ist.
Er legte den beiden frische Bettwäsche auf sein Sofa und verzog sich ins Arbeitszimmer.
Mit einer Tasse Kaffee saß er da und ließ sich die laue Vorfrühlingsluft ums Gesicht wehen. Nach einer halben Stunde, in der er dem beschleunigten Tempo seines Herzschlags gelauscht hatte, ohne eine einzige Zeile zu tippen,
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