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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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abgewinkt hätten und er seine Tournee, die Ende April, also in wenigen Tagen, beginnen sollte, komplett abgesagt habe. Mangels Vorverkauf. Ganze eineinhalb Stunden lang ließ sich Giovanni scheinbar teilnahmsvoll, aber in Wirklichkeit von einem Bein aufs andere hüpfend, die private Apokalypse schildern. Stefan redete wie Ilse in dessen besten Zeiten. Alle waren schuld, nur er selber nicht. Die inkompetenten Levite bei den Plattenfirmen, die eigenen Musiker, das plötzlich wieder dumm gewordene Publikum, die rückgratlosen Medien, die Kollegen, die bereitwillig auf die neue deutsche Schlagerseligkeit, den Hawaihemden-und- Schicki-Micki-Schmus einstiegen, die Kollegen, die ihn beklauten und damit erfolgreich waren - alle, alle waren sie schuld an Stefan Moningers unverdientem Abstieg. Und klang da nicht auch so ein Unterton an, es könne an der sinkenden Qualität der Texte liegen? Giovanni hatte wenig Trost für ihn. Nicht jetzt, nicht mit diesem Brief auf dem Schreibtisch. Heute war einfach nicht der Tag für Existenznot und Kulturpessimismus.
    Endlich lag der Hörer wieder auf, aber der Dialog mit Laura war gestört. Der Brief zappelte nicht mehr. Nach einigen unschlüssigen Versuchen, etwas zu finden, das jetzt dringend getan werden mußte, beschloß Giovanni, eine Kassette aufzunehmen. Mit sämtlichen Texten von ihm. Für Laura. Es waren vierunddreißig Stücke auf neun verschiedenen Platten. Nach zwei Stunden, die er mit dieser Beschäftigung verbrachte, war wieder Platz in der Wohnung. Für Laura und ihn. Vorsorglich nahm er den Hörer vom Telefon und brachte den Apparat ins Schlafzimmer. Das fordernde Tut-tuuut des Freizeichens hätte die so gewonnene Ruhe wieder gestört. Liebe Laura, schrieb er endlich, versuche ich jetzt witzig zu sein oder ehrlich? Laß Dich überraschen, beziehungsweise finde es selbst heraus. Jetzt sitz ich schon seit Jahren nach jedem Ami-Film eisern auf der Kante, bis der letzte Rest vom Abspann gelaufen ist. Ich bekomme Streit mit Leuten, die sich nicht so dafür interessieren und deren Weg ich blockiere. Ich verderbe mir die Augen, weil der Abspann meist auf dem geschlossenen Vorhang läuft, wo die Schrift wackelt. Ich bekomme Ärger mit meiner Begleitung, die nach einer Zigarette giert. Und wozu das alles? Um Deinen Namen zu finden. Geh ich in die falschen Filme, hast Du ein Pseudonym, oder bin ich einer Fehlinformation aufgesessen? Wo cuttest Du denn oder assistierst bei der Regie? Ich finde Dich jedenfalls nie und fühle mich betrogen. Hast Du jetzt gekichert? Ja? Dann war das witzig ...
    Der Brief wurde neun Seiten lang, und Giovanni war sich nie sicher, wovon er eigentlich berichtete. Die Worte erzählten von dem, was er tat, wovon er lebte, was er dachte und wonach er suchte, aber das Gefühl, das ihn beim Schreiben begleitete, war eher eine Art Festhaltenwollen. Solange er schrieb, war Laura gefesselt. An ihn. Zum Schluß bat er sie, von sich zu erzählen. Sie habe ihm gefehlt und fehle noch. Als allerletzten Satz fügte er an, Linda sei sie. So wie er sie gern hätte. Beziehungsweise daß.
    Zwei Tage lang ließ er den Brief liegen. Dann, als die Gefahr wuchs, daß er eher im Papierkorb als in einem Briefkasten landen könnte, brachte er ihn mit anderen zur Post und versuchte, vor sich so zu tun, als sei nichts Besonderes daran. Aber natürlich zählte er dann die Tage, bis ihre Antwort frühestens eintreffen konnte.
    Es waren zweiundvierzig.

 
DREIUNDVIERZIG
    Die griechischen Gastarbeiter hatten sowohl mit den Restaurants, die sie in Deutschland aufmachten, als auch mit den Ferienwohnungen, Hotels, Strandlokalen undKneipen in Griechenland noch Erfolggehabt. Die vom Hund gebissenen letzten waren jetzt die Türken. Ihre Restaurants waren weder Restaurants, noch wurden sie von Deutschen besucht. Es waren Lokale. Oder Kaschemmen. Oder Lasterhöhlen. Was immer sie auch waren, es gingen dort nur Türken hin und allenfalls der eine oder andere deutsche Großstadtlehrer, der echt keine Vorurteile hatte. Dieser eine oder andere Großstadtlehrer hatte inzwischen von seinen Schülern das Wort »geil« gelernt und setzte es, meist in Verbindung mit einer schwarzen Lederhose, erfolgreich ein. Als eine Art Code zur Herstellung von Verständigungsmöglichkeiten.
     
    Über den Düsseldorfer Verkehrsverein hatte Giovanni den Spielplan des Stadttheaters bekommen. Da er in Düsseldorf niemanden kannte, nahm er sich ein Zimmer in Bahnhofsnähe. Er hatte keine Lust gehabt, mit dem Wagen zu

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