Das Herz ist eine miese Gegend
Karen, und Giovanni staunte über ihre Treffsicherheit.
Sie hatte eine Stelle angenommen bei Gastl, direkt neben der Stiftskirche. »Ich glaube sogar, wegen dir«, sagte sie, »aber denk jetzt nur nicht, du hast mich am Hals. Ich bin frei und bleib es auch. Aber das Leben ist schöner, wenn ich dich ab und zu in mir drin habe.«
Er fand die Vorstellung, ab und zu in ihr drin zu sein, erregend. Nicht nur Karens Schönheit, von der er immer geglaubt hatte, sie gehöre zu strahlenden Männern, zu Glanz, Öffentlichkeit und Parties, nicht nur diese Schönheit, die so viel offensichtlicher war als Lauras, hatte ihn glauben lassen, daß Karen höchstens einen Freund, aber nie einen Geliebten in ihm suche; es war auch ihre Verbindung zu Stefan gewesen, von dem er sich so verschieden fühlte. Wie konnte sie an Stefan etwas finden und gleichzeitig an ihm? Aber es war ja nicht gleichzeitig. Stefan war ja weg. Er brannte darauf, sie Bo vorzustellen.
»He, sag was! Das war eine Liebeserklärung.«
»O ja, entschuldige. Ich war in Gedanken.«
Er nahm sie in die Arme und küßte sie auf den Mund: »Ich hab Platz für dich.«
»Ich zahle Miete.«
Sie holte zwei Bücherregale aus dem Keller und stellte sie ins Schlafzimmer, schob seine Kleider auf die rechte Schrankseite und zog ein. Wenn sie nicht zusammen ausgingen, kochte er für sie, und es dauerte nicht lange, da waren die Ergebnisse eßbar. Er brachte ihr das Flippern bei, und mit zwei Kollegen aus der Buchhandlung, dem Trickfilmer, dessen Freundin und einem Anwalt, den Giovanni seit langem kannte, wurden sie eine richtige Clique.
Seit der Zeit mit Laura, Bo und Ilse hatte Giovanni sich nicht mehr so aufgehoben gefühlt. Auf einmal war die Stadt, die er seit Jahren als einen Aufenthaltsort gesehen hatte, als eine Nische, die bloße Umgebung seiner Wohnung und seines Schreibtisches, wieder eine Heimat für ihn geworden. Zum ersten Mal seit Jahren schaute er hin und wieder nach oben, wenn er durch die Straßen ging, und entdeckte Giebel, Dächer und Winkel, die er nie zuvor gesehen hatte. Als wäre ich es, der hierhergezogen ist, dachte er manchmal, wenn er sich bei einer solchen Neuentdeckung inmitten des Altbekannten ertappte. Ich komme zu mir durch Karen. Dabei tut sie nichts, was mich ändern könnte. Sie ist nur da. So wie sie eben ist. Schön und klar und für einen so klugen Menschen viel zu einfach.
Sie schliefen fast jede Nacht miteinander auf eine genießerische Art, die, halb Ernst und halb Spiel, ihnen den anderen quadratmillimeterweise eröffnete. Giovanni hörte auf, sein eigenes Spiegelbild mit vorwurfsvollen Augen zu betrachten. Auf einmal war ihm egal, daß er nicht schön war oder männlich; sein Gesicht war in Ordnung. Und manchmal verspürte er Stolz auf die neben ihm gehende Schönheit. Die gehört zu mir, dachte er als Begleitmusik zu neidischen, flüchtig sich orientierenden Blicken, die zu lesen ihn früher oft deprimiert hatte. Früher konnten solche Blicke doch immer nur ein Dutzendgesicht registrieren. Jetzt mußten sie unverständig das Privileg dieses Dutzendgesichtes hinnehmen, von solcher Schönheit für voll genommen zu werden. Fremde Federn, dachte Giovanni, wenn er sich bei solchen Gedanken ertappte, aber es war doch ein schönes Gefühl.
Er besuchte sie fast täglich in der Buchhandlung und las mehr als je zuvor.
Lieber Giovanni, stand in dem Brief, der am zehnten Juni endlich aus dem Kasten sprang, direkt lachen mußte ich nicht, aber bitte schreib weiter. Schreib mir viele solcher Briefe, und erzähl mir, was Du tust. Ich kann nicht genug davon kriegen. Das fehlt mir hier in den Staaten. Ich cutte nicht und assistiere bei keiner Regie, ich bin eine Hausfrau, die sich standhaft weigert, Alkoholikerin zu werden. Das ist aber auch das einzige, was ich nicht tue. Alles andere, den kompletten american way of life, mache ich brav mit, und niemand ahnt etwas Böses. Schreib mir solche Briefe, dann halt ich besser durch.
Ich habe ehrlich keine Lust, von mir zu erzählen, bin viel begieriger auf Deine Geschichten. Hast Du Dir eigentlich mal überlegt, ein Buch zu schreiben? Deine Liedertexte mag ich meistens, manche sogar sehr. Mit der Stimme dieses Moninger kann ich allerdings nicht viel anfangen. Der ist so spröde, ich mag ihm kein Gefühl glauben. Und schon gar nicht, wenn der Text von Dir stammt. Dann kommt mir dieser Mann wie ein Lügner vor. Schreib doch mal ein Buch. Es muß ja nicht ausgerechnet von einem Dichter handeln, der
Weitere Kostenlose Bücher