Das Herz ist eine miese Gegend
Briefkasten. Mit einer Telefonnummer ohne Vorwahl und der Unterschrift »Karen«.
Es war merkwürdig. Schon wieder tauchte Karen gleichzeitig | mit den Gedanken an Laura auf. Giovanni wählte die Nummer, und ihre Stimme meldete sich: »Bei Göhre.«
»Karen?«
»Ja. Giovanni?«
»Auch ja. Komm ich, oder kommst du?«
»Ich komme. Bis gleich.« Sie legte auf.
Sie fielen einander in die Arme, und der Geruch, der ihrer leichten Sommerkleidung anhaftete, war ihm so bekannt, daß er sie wie selbstverständlich küßte. Und wie selbstverständlich fuhr Ihre Hand über seinen Nacken, jagte ihre Zunge seine und zog sie ihr T-Shirt von der Brust, auf der seine Hand sich schon lastend bewegte.
»Du kommst von einem andern Stern«, sagte er und gab der Tür einen Tritt.
Sie zog eine verklebte Haarsträhne aus ihrem Mundwinkel und sagte: »Da will ich grade hin.«
Mit schnellen Bewegungen zog sie ihre Kleider aus und warf jedes Teil in eine andere Ecke des Flurs. Dann faßte sie seinen Gürtel, öffnete ihn und zog am Reißverschluß der Jeans. Wie unentschlossen fuhren ihre Hände jetzt hinter die Knopfleiste seines Hemdes am Kragen und öffneten drei Knöpfe, um dann wieder zu seiner Hose zu huschen und diese halb herunterzuziehen.
»Alles gleichzeitig geht nicht«, sagte er lächelnd. »Und außerdem sind wir im Flur.«
Er zog sich selbst aus, während sie sich mit beiden Händen auf der Telefonkommode abstützte und ihm dabei zusah.
»Dann zeig mir halt die Wohnung.«
»Ähmm, vielleicht zuerst das Schlafzimmer?«
Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn durch die erstbeste Tür. Es war das Wohnzimmer.
»Daneben«, sagte er. »Schlafzimmer ist dort drüben.«
»Mußt du unbedingt ein Bett haben?«
»Nein, unbedingt nicht.«
»Dann komm.«
Sie setzte sich auf den Tisch, rutschte nach vorn an die Kante und zog ihn an den Schultern zu sich her, sagte: »Komm, komm schon in mich rein«, und führte ihn mit ihrer Hand. Er mußte in die Knie gehen, und dieser unbequemen Haltung verdankte er, daß er sich diesmal nicht vor ihr verlor.
Nachdem sie ihr Ziel, sich klammernd und mit der Hüfte an ihm tanzend, erreicht hatte, lehnte sie den Oberkörper zurück, stützte sich auf die Tischplatte und zeigte sich gelassen vor, während ihr Blick seinem auswich, um ihn nicht zu stören. Bald fielen sie sachte über den Tisch in eine Haltung, in der sie, Mund an Hals, eine Zeitlang verharrten. Es war nachmittags kurz vor fünf, und ein Luftzug, der durchs Fenster kam, streichelte ihre Haut so vorsichtig, wie sie selbst es nicht vermocht hätten.
»Du hast mir tatsächlich gefehlt«, sagte Karen irgendwann und rückte ihren schmerzenden Ellbogen auf der harten Tischplatte zurecht. »Ich hab’s nicht geglaubt, aber du hast mir gefehlt.«
Das war ein Satz, den Laura hätte sagen können. Oder sollen.
»Das Badezimmer ist da«, hatte Giovanni gesagt, aber Karen wollte nicht duschen. »Ich will danach riechen«, sagte sie und bat nur um ein Handtuch. »Und jetzt spazierengehen. Auf jeden Fall raus.«
Wie frisch gewaschen war die Stadt, obwohl es nicht geregnet hatte. Sie gingen Hand in Hand durchs Schloß und den langgezogenen Berg dahinter entlang. Der Blick ins Tal, auf die Dächer der Stadt und zu den gegenüberliegenden Hängen mit Kliniken und Villen, das einsetzende Abendlicht und die Geräusche und Gerüche des Frühlings schienen Giovanni das beste Geschenk für Karen. Sie nahm es vergnügt und gelassen an.
»Ich weiß nicht, was ich diesmal schwänze«, sagte sie, »aber ich schwänze irgendwas. So ein Gefühl gibt es nur beim Schwänzen. Letztesmal mit dir hab ich Herrn Moninger geschwänzt. Oder Herrn und Frau Moninger. Jetzt weiß ich nicht.«
»Apropos ...« sagte er.
»Ist aus. Schon lange. Seine Maja hat ein Kind gekriegt. Da hatte ich genug.«
»Seine Felle schwimmen davon«, sagte Giovanni nachdenklich und begann sich selber als ein weiteres dieser Felle zu sehen. Auch er würde demnächst wegschwimmen. Keine ermüdenden Diskussionen mehr, ob ein Wort singbar ist oder nicht. Kein Beiseitelegen guter Texte mehr, weil sie der Plattenfirma zu negativ, zu hochgestochen, zu speziell oder zu allgemein sein würden. Und keine Untertöne mehr, es könne am Text liegen, wenn die Platte nicht läuft. Eben erst wurde ihm klar, daß er das schon eine Weile erwog, ohne es bislang zuzugeben. Aus Schuldgefühl. Um nicht als Ratte ertappt zu werden, beim Verlassen des sinkenden Schiffes.
»Trapperschicksal«, sagte
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