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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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verlasse Maja und lerne Karen kennen. Ich erzähle von Plattenheinis, Radiofritzen, Journalisten und Musikern. Ich erzähle davon, was Musik bedeuten kann. Wenn man sie liebt. Und braucht.
    Er machte keine Notizen mehr, sondern schrieb los, indem er mit dem nassen Novembertag begann, an dem Stefan begriff, daß es so nicht weitergehen würde. Das war natürlich derselbe nasse Novembertag, an dem Giovanni die ersten Zeilen in sein schwarz-rotes Din-A-vier-Notizbuch schrieb.
    Und natürlich schliefen er und Karen nicht mehr jede Nacht miteinander. Beim gründlichen Durchsuchen des anderen Körpers hatten sie irgendwann alles gefunden, und kein Winkel und kein Fleckchen war mehr neu. Es war noch immer schön, aber schließlich nicht mehr wichtig, ob sie es jetzt tun würden, heute noch, morgen oder übermorgen. Es lief ja nicht davon.
    Oft schrieb Giovanni jetzt bis spät in die Nacht und kroch erst lange nachdem sie eingeschlafen war, zu Karen unter die Decke. Er stand viel später auf als sie und war nicht hungrig, wenn sie von der Arbeit kam. Von Laura sprach er nicht - was gäbe es auch zu sagen? -, und das langsam wachsende Manuskript hielt er auch vor ihr zurück. Aus Angst, sie könnte es nicht mögen.
    Doch da er sonst an nichts mehr dachte als an Laura und das Buch, verloren die Gespräche den Gehalt. Sie sprachen über Filme, Bücher, Freunde und den Speiseplan.
     
    Als er jedoch Karen im Spiegel von Bos Augen sah, war Giovanni wieder stolz auf diese Frau.
    »Du bist aber schön«, sagte Bo sofort, als er zur Tür hereinkam.
    Karen blieb den Abend über einsilbiger als sonst, und als Bo gegangen war, sagte sie: »Den mag ich nicht.«
    Sie fuhr über Neujahr zu ihren Eltern, und Giovanni stellte fest, daß er das Alleinsein genoß. Er schämte sich. An Karen ist nichts Falsches, dachte er, sie tut mir nichts an, warum also belüge ich sie? Denn daß er sie nicht in sein Manuskript schauen ließ, obwohl sie darum bat, daß er Laura mit keinem Wort erwähnte, obwohl er ihr dauernd schrieb, daß er kaum noch auf Karen achtete und dabei hoffte, sie merke es nicht - was tat er damit anderes als lügen?
    Bo las er vor, was er bis jetzt geschrieben hatte. Es waren vierundneunzig Seiten. Bo verstand die Begriffe aus der Musikszene nicht. Giovanni mußte jeden einzelnen erklären. Und jedes englische Wort.
    »Aber sonst gefällt’s mir gut«, sagte Bo.
    Er hatte seit einem Jahr eine Freundin, eine zarte rothaarige Tanzschülerin, die er väterlich umhegte. Ihr zuliebe hatte er in Düsseldorf gekündigt und war nach Hamburg gezogen, wo er, bislang noch arbeitslos, ohne Eile nach Rollenverträgen Ausschau hielt.
    »Leider wohnt mein Bruder auch in Hamburg«, sagte er, »das ist der Nachteil.«
    »Du mußt ihn doch nicht sehen.«
    »Sag ihm das.«
     
    Auf langen Spaziergängen im Schnee füllten sie die zehnjährige Lücke auf. Sie redeten sich selbst herbei, als wäre alles erst echt, wenn der andere über jede Minute, jeden Zweifel, jeden kleinen Triumph und jeden Tropfen Herzblut, der irgendwann einmal vergossen worden war, Bescheid wußte.
    »Eigentlich habe ich immer noch nicht mit dem Leben angefangen«, sagte Giovanni einmal.
    »Und ich müßte aufhören zu spinnen«, antwortete Bo.
    Mit diesen Hausaufgaben trennten sie sich kurz nach Silvester. Bo fuhr nach Hamburg zu seiner Katharina, und Giovanni dachte wieder an sein Buch.
    Ein Buch zu schreiben war jedoch das glatte Gegenteil von Leben, und so freute er sich, als Karen von Stuttgart aus anrief und fragte, ob er sie abholen komme. Er hatte noch Zeit, einen Blumenstrauß zu kaufen und ein Essen vorzubereiten, das er nur noch in den Ofen zu schieben brauchte.
    Im Fußgängertunnel unter dem Schloßberg pfiff er und klatschte in die Hände, und am Bahnhof konnte er es kaum erwarten, bis sie ihm endlich entgegenkam. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und roch ihren warmen Duft.
    »Du hast mir gefehlt«, sagte er, und das stimmte. Er hatte es nur nicht bemerkt.

 
FÜNFUNDVIERZIG
    Alles, was von mehr als zwei Leuten für geil gehalten wurde, nannte man »Zeitgeist«. Falls, wie es nun auf einmal schien, die halbe Menschheit an Aids sterben würde, hätten sich die Antiatomkraftbewegung und die Friedensbewegung ganz umsonst gesorgt. Beziehungsweise um das Falsche. Aber noch stand ja nicht fest, ob man Aids nicht der CIA zuschreiben konnte, und dann wäre das ja wieder fast dasselbe.
     
    Vor dem Fenster wurde ein Stück Straße neu gepflastert, und das Klicken

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