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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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schließlich ein Buch schreibt. Aber vor allem, schreib mir. Was immer Dir einfällt. Vorn meine Adresse drauf und weg damit. Santa Monica ist ein nettes Städtchen, wir haben nette Nachbarn, Steve ist ein netter Mann, er hat einen netten Job, und ich fahre einen netten kleinen Toyota als Zweitwagen. Ich selber bin auch nett. Erinnerst Du Dich daran, daß ich jemals nett war? Nett? Aber wie gesagt, ich habe keine Lust, von mir zu erzählen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich umarme Dich. Deine Laura. P. S. Wir haben jetzt eine Brieffreundschaft.
    Er besuchte Karen nicht im Laden an diesem Tag.

 
VIERUNDVIERZIG
    Der Begriff »Altbundeskanzler« klang irgendwie positiv. So ähnlich wie »Recycling«. Getreu dem Slogan einer schon wieder erfolglosen Band ging es jetzt extrabreit in die achtziger Jahre. Leistung lohnte sich wieder, und man hatte kein schlechtes Gewissen mehr. Das personifizierte gute Gewissen war jetzt Bundeskanzler und glänzte fettig aus allen Rohren. Über den Malvinas, so hieß es, sei eine Anzahl roter Luftballons abgeschossen worden; wer’s nicht glaube, solle sich halt das Video kaufen.
     
    Von Stefan, den er beim Festival das letzte Mal gesehen hatte, hörte Giovanni überhaupt nichts mehr. Es war eine seltsame Szene gewesen, als Stefan und Maja mit Karen zusammentrafen. In Giovannis Wohnung. Für Maja war alles ganz normal - schließlich war doch diese Karen Giovannis Freundin -, aber Stefan war völlig durcheinander gewesen und hatte sich bald verabschiedet. Giovanni war sich unsicher, was er von diesem Auftritt halten sollte. Hatte es ihm gefallen, Stefan zu verletzen, oder tat er ihm leid? Möglicherweise beides. Karen war begeistert.
    Ein ganz neues Gefühl der Ruhe war seit dem stetigen Briefwechsel mit Laura in Giovannis Leben eingekehrt. Er hatte gut verdient in letzter Zeit und würde leicht ein Jahr lang davon leben können. Bis auf die Plattenkolumne in der Hi-Fi-Zeitschrift kündigte er alle Zeitungsjobs.
    In den Blättern, für die er gearbeitet hatte, war jetzt hauptsächlich von Verkaufszahlen die Rede. Es ging nur noch um Erfolge und die alten kitschigen Märchen vom großen Glück, ein Star zu sein. Kein Wort mehr über musikalische Dinge, kein Versuch mehr, Musik zu beschreiben oder gar über Texte nachzudenken, sondern nur noch Klatsch über Frisuren, Bettgeschichten, Millioneneinkünfte und Zuschauerzahlen. Ich stehe nicht mehr zur Verfügung, schrieb er einfach an die Redakteure. Und das war ein tolles Gefühl.
    So weit entfernt Laura auch war, sie stellte doch einen festen Punkt in seinem Leben dar, von dem aus gesehen Giovanni nicht überflüssig war. Alle zwei, drei Wochen schrieb er ihr, und auf etwa jeden dritten Brief kam Antwort. Sie schrieb kurz und bezog sich mehr auf ihn, als daß sie von sich erzählte. Erst nach und nach begann sie ihr Leben in Amerika zu schildern, und das klang meistens traurig.
    Auch klang in ihren Briefen etwas an, das ihn von dem Wunsch abhielt, sie zu besuchen. Es schwang aber auch eine Zuneigung mit, die die Briefe zu Geheimnissen machte. Zu Erkennungszeichen eines Lebens außerhalb der Regeln, einer Nische nur mit Platz für sie und ihn.
    In einem dieser Briefe machte sie ihn auf einen Schriftsteller namens Kurt Vonnegut aufmerksam, dessen Bücher er daraufhin wie süchtig las. Dieser Vonnegut mit seinem tragikomischen Stil war es auch, der ihm den letzten Anstoß gab, sich an eine längere Geschichte zu wagen.
    Als wären Fenster in seinem Kopf geöffnet worden, wehte alles durcheinander, was er schon immer hatte aufschreiben wollen. Er holte seine frühen Versuche aus der Schublade, aber legte sie schnell wieder enttäuscht beiseite. Nichts war darunter, was man schreiben mußte. Aber was mußte man denn schreiben? Sich selbst?
    Er versuchte es mit Anfängen. Schrieb einfach Sätze auf und prüfte, ob sie ihn in eine Richtung, an einen Ort oder zu einer Person zogen. Der alte Unterschied zwischen Farbe und Schwarzweiß tauchte wieder auf. Sätze fingen farbig an und wurden immer blasser oder waren gleich von Anfang an in Grau.
    Endlich, Ende Oktober, fiel ihm Stefan ein. Spazierte einfach in einen Satz über Musik, einen Satz, in dem Platz war für Personen. Mitten in diesem Satz stand Stefan und schaute unsicher vom Blatt direkt in Giovannis Augen, als stünde dort seine Zukunft geschrieben. Der Satz war in Grau, aber Grau war eine Farbe.
    Das ist es, dachte er. Ich bin Stefan. Mein Plattenvertrag läuft aus. Existenzkrise. Ich

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