Das Herz ist eine miese Gegend
außer Strümpfen, die bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichten und von den schmalen Bändern eines Hüftgürtels gehalten wurden. »Da ist der Rest.«
Sie nahm ihn wie damals an der Hand und schob ihn zielbewußt ins Schlafzimmer. Dort zog sie die Vorhänge zu und setzte sich aufs Bett. Als sie das Kleid über den Kopf streifte, hatte er sich schon alles vom Leib gerissen und kniete neben ihr.
»Das ist das, was der Spießer Reizwäsche nennt, stimmt’s?« fragte er.
»Gib doch zu, daß es dich reizt«, sagte sie lachend und zog seinen Kopf an ihre Brust. »Da mußt du gar kein Spießer sein.«
»Ich geb’s zu«, murmelte er und war tatsächlich ein bißchen verlegen, »aber du darfst es niemand verraten.«
»Niemand«, sagte sie, und als sie wieder zu sich kamen, war die Platte längst zu Ende und blieb nur noch wenig Zeit bis zum Eintreffen der Gäste.
Das Paket war keine Attrappe gewesen, sondern enthielt ein Textverarbeitungsprogramm. Am Tag nach dem Fest setzte er sich an den Computer.
Es dauerte drei Tage, bis er so weit war, daß er nur noch etwa einen Fluch pro Stunde ausstieß, und von da an tippte er mit wachsender Freude seine Handschrift ab und änderte fast jeden zweiten Satz.
Karen stellte manchmal Blumen auf seinen Schreibtisch, massierte ihm abends die schmerzenden Schultern und kochte nach der Arbeit, was bisher immer sein Job gewesen war.
»Du pflegst mich ja wie einen Kranken«, sagte er nach einer Woche.
»Das machen wir Schriftstellerliebchen so. Sonst haut er uns mit einer Jüngeren ab.«
Sie wartete, bis das ganze Manuskript ausgedruckt war, und las es dann in einem Zug durch, während er ins Kino und hinterher spazierenging.
Er fand sich lächerlich mit dieser ängstlichen Erwartung im Gesicht, aber sie sagte gleich: »Gut. Es ist gut. Das werden viele Leute mögen.«
Gleich am nächsten Tag machte er drei Kopien, schickte eine im vorbereiteten Kuvert nach Amerika, die zweite an einen Verlag, dessen Adresse ihm Karen herausgesucht hatte, und legte die dritte zu Hause neben das Original. Und wartete.
»Bin ich eigentlich die Frau in dem Buch?« fragte Karen einige Tage später.
»Welche?«
»Die Traumfrau, die, die er dann kriegt.«
»Ja.«
Das stimmte, wenn auch nur zum Teil, denn natürlich war die Figur eine Mischung aus Laura und ihr geworden. Aber ein Teil stimmte ja, und von Laura hatte er noch immer nichts gesagt, also sah er keine Möglichkeit als diese halbe Lüge. Die immerhin auch eine halbe Wahrheit war.
SECHSUNDVIERZIG
Das Instandbesetzen von Häusern war schon wieder nicht mehr modern und somit auch die letzte Bastion der verständnisvollen Ex-Außenseiter gefallen. Während drunten aufder Straße das Auftauchen von Hitlers Tagebüchern diskutiert wurde, hängte man in so mancher Beletage die Klotür wieder ein, kündigte den Mitbewohnern und strich die braunen Regale weiß. Das würde erst mal reichen bis zum nächsten Ikea-Besuch. Die Idee, Auschwitz rühre vom Pazifismus her. stammte nicht aus den Hitler-Tagebüchern, die ihrerseits auch nicht von Hitler stammten. Aber da es bald »Mehr Zukunftfür alle« geben sollte, hatte man doch jetzt eigentlich ein Recht, davon nichts mehr hören zu wollen.
Nach Wochen, in denen keine Antwort des Verlags eintraf, gewöhnte sich Giovanni an den Gedanken, daß aus dem Buch nichts werden sollte.
Laura schrieb, sie habe Tränen gelacht, zumindest glaube sie, daß es Lachen gewesen sei, und ob er mit der Frau sie gemeint habe. Ja, schrieb er zurück, natürlich.
Wen denn sonst? Er legte Original und Kopie in eine Schublade und schob das Buch aus seinem Blickfeld.
Lange nachdem das Ithaka-Projekt gescheitert war, tauchte Ilse wieder auf. Er hatte einige Monate in Südfrankreich Straßentheater gemacht. Management, wie er es nannte. Eher war es wohl das Herumgehen mit dem Hut gewesen. Braungebrannt und mit einer Flasche Cidre unterm Arm stand er eines Nachmittags vor der Tür und sagte »Na?«
Sein Vater war von einem Schlaganfall gelähmt, und man hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Ilse ausfindig zu machen, damit er die Werkstatt weiterführte.
»Willst du das?« fragte Giovanni.
»Ich mach’s jedenfalls und werde genauso erwachsen wie du.«
Tatsächlich versorgte Ilse den ansehnlichen Kundenstamm seines Vaters und schien sich einzuleben. Oft, wenn er in der Stadt zu tun hatte, kam er nach Feierabend vorbei, unterhielt sich mit Karen, die ihn schnell ins Herz geschlossen hatte, lieh sich Bücher
Weitere Kostenlose Bücher