Das Herz ist eine miese Gegend
Sätzen immer vorsichtig bei der Hand genommen. Er meinte einen leisen Druck zu spüren, Druck von der Art, wie man ihn anwendet, um zu prüfen, ob der andere noch da ist, ob er wach ist und einen registriert.
Diesmal schrieb er: »Halte mal eine Hand in den Mixer. Ich würde sagen, wir geben uns nichts, Deine Küche und ich, wir sind beide wirklich. Und doch auch recht verschieden.«
»Was bist Du nur für ein frecher Arsch geworden«, schrieb sie zurück, »Dir sollte man auf die Finger sehen.«
»Ja«, schrieb er wieder zurück. Nur dieses eine Wort.
Stefan hatte bescheidenen Erfolg mit einem Lied, dessen Refrain lautete: »Ich sag es, und ich sag es nicht allein: Dein Frieden sollte meiner sein.« An seinen Tantiemen konnte Giovanni jedoch ablesen, daß die alten Songs noch immer liefen. Zwar hörte er nie einen, aber das konnte daran liegen, daß er das Radio nicht mehr anstellte. Gerade mal noch beim Autofahren.
Er schrieb fast keine Lieder mehr. Hin und wieder bekam er Aufträge für eine Jugendsendung im Fernsehen, aber das wurden biedere Texte nach genauen Themenvorgaben, und er sah sich die Sendungen niemals an. Das war Dienst nach Vorschrift.
An Heiligabend hatten er und Karen, die zum ersten Mal nicht nach Itzehoe fuhr, seinen Vater eingeladen. Seine Mutter war bei Freunden, die sein Vater nicht mochte, und Giovanni fühlte sich verpflichtet, dem alten Mann ein einsames Weihnachten zu ersparen.
Ohne das Regulativ seiner Frau, deren Schweigen allein schon hundert verschiedene mißbilligende Bedeutungen für ihn haben konnte, sprach der Vater auf einmal frei und zusammenhängend von sich und seiner Jugend, seiner Ehe und vom Krieg. Sprach von Gefühlen, die Giovanni ihm nie zugetraut hätte, die er für eine Spezialität seiner eigenen Generation hielt, sprach von seiner Erziehung, deren Fehler er bereute, von Enttäuschungen und wie er sie verwand. Es war eine richtige Gegengeschichte. Gegen Giovannis Erinnerung und gegen das vorgespiegelte Bild der Ruhe und des ausgeglichenen Verständnisses, das seine Eltern nach außen hin boten.
Zum ersten Mal schien es Giovanni, als hätte sein Vater ihm ein Freund sein können. Wie Paul. Hätte er nur den Anfang versucht. Er entschuldigte sich innerlich.
An einem eiskalten Februartag störte ihn das Telefon von der Arbeit an einer Glosse auf. Er mußte sich unwirsch gemeldet haben, denn die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte lachend: »Sie haben doch nicht mehr geschlafen, oder?«
Es war Viertel nach drei am Nachmittag.
Die Stimme gab sich als Lektor des Verlages zu erkennen, dem Giovanni das Manuskript geschickt hatte. Er wolle das Buch sehr gern machen, habe aber einige Änderungen vor, die zuerst besprochen werden sollten.
»Kein Problem«, sagte Giovanni.
Der Lektor erklärte, ein Praktikant im Verlag habe das Manuskript entdeckt und ihm auf den Tisch gelegt.
»Was trinkt der Mann?« fragte Giovanni und jubelte innerlich.
Nach dem Gespräch nahm er den Hörer wieder auf und rief Karen in der Buchhandlung an.
»Hallo, Schriftstellerliebchen«, sagte er nur, und sie stieß einen Freudenschrei aus, der die Buchhandlung möglicherweise den einen oder anderen Kunden kostete.
Auf dem Weg nach Hamburg fuhr Giovanni durch die verschiedensten Stimmungen. Kurz vor Fulda war es
Freude darüber, daß sein Buch tatsächlich herauskommen würde, hinter Göttingen dann Angst vor der Kritik, die ihn erwartete, und im Bahnhof von Hannover das Gefühl, als ginge hinter ihm eine Tür zu. Dabei ging doch vor ihm eine auf.
Es tat zwar manches weh, was der Lektor sagte, aber sie stritten nur einmal heftig um eine Stelle, die Giovanni nicht opfern wollte. Danach duzten sie sich und machten eine Stunde Pause.
Schade, daß sich unter Bos Nummer niemand gemeldet hatte. Er hätte ihn gern besucht und Katharina kennengelernt. Soviel er wußte, war sie die erste Frau, bei der Bo länger als ein paar Wochen blieb, und da er nicht an große Veränderungen bei Bo glaubte, nahm er an, sie müßte etwas haben, das allen vorherigen fehlte.
Er ging ins Kino und gab sich dann im Hotelzimmer den Träumen hin, die schon seit Tagen sein Bewußtsein umkreisten. Jetzt ließ er sie alle ein. Sein Buch in den Schaufenstern der Buchläden; Artikel in Spiegel und Stern; Lesungen vor einem Publikum mit offenen Mündern; Frauen, die das Buch signiert haben wollten und von denen bemerkenswert viele blonde Haare, braune Augen und dunkelblonde Augenbrauen hatten; Bestsellerliste;
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