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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Kritikerkommentare wie »eine erfreuliche Entdeckung«, »ein Buch von bemerkenswerter Dichte« oder »... konnte es nicht aus der Hand legen«.
    Seit langem hatte er wieder einmal das Gefühl, in der Mitte der Ereignisse zu sein. Der wichtigen jedenfalls. Er war wichtig. Ein Schriftsteller.
    Natürlich ermüdet die Faszinationskraft solcher Träume, und er schaltete den Fernseher ein. Da war Depardieu auf dem Bildschirm, und Giovanni wußte, daß er den Film kannte. Er brauchte nur zu warten, bis das Schlüsselbild zu seiner Erinnerung auftauchte. Da war Fanny Ardant, ein kleines Haus, dessen Fenster sie öffnete - jetzt wußte er den Titel. »Die Frau nebenan«.
    Was würde er tun, wenn Laura mit ihrem Steve ein Haus direkt neben ihm und Karen bezöge? Alles einsetzen, um sie zurückzugewinnen? Tat er das nicht schon, seit sie wieder Briefe wechselten? Und tat sie das nicht auch, auf eine langsame, vorsichtige und gründliche Weise? Und Karen? Würde er sie einfach verlassen wollen, wenn Laura käme? Mit Karen verband ihn fast so etwas wie eine gute Ehe. Ja, sie waren ein gutes Ehepaar ohne Trauschein. Ein gutes Ehepaar, das einander nicht mehr wie wahnsinnig begehrte, sondern ausgeruht genoß, wann immer noch die Lust es wollte. Ein Ehepaar, das nicht mehr nach den letzten Geheimnissen des andern grub, aus Angst vor der folgenden Leere vielleicht, doch warum denn nicht auch aus Respekt? Ein Leben, geregelt von Gewohnheitsrechten, deren Inkraftsetzen keine großen Kämpfe vorangegangen waren - man hatte sich gezeigt, der andere hatte verstanden, das Vor und Zurück der Ansprüche hatte Platz geschaffen. Platz zwischen ihnen und Platz um sie her, Platz, den keiner dem anderen zu stehlen brauchte, gewährter Platz, großzügig vermessen und selten zum Schaden des anderen besetzt.
    Wir sind Freunde, dachte er, das Beste, was nach der Liebe kommen kann. Aber Liebe? Ehrlich, war es Liebe? Glück ja. Glück war es. Nein - ist es. Glück von der Badewanne bis zum Schriftstellerliebchenschrei, aber was wird, wenn Laura morgen kommt? Sie kommt nicht.
    Er kam sich selber unehrlich vor, hatte das Gefühl, sich nicht die volle Wahrheit einzugestehen, und merkte, daß er in Sätzen dachte. In Worten. Das war verdächtig. In Worten denkt, wer sich selber was beweisen will; in Worten denkt, wer sich nicht über den Weg traut.
    Hatte er sich nicht oft an Sätze aus Lauras Briefen fester geklammert als an Karens Körper?
    Vor lauter Bildern im eigenen Kopf, lauter Worten und Sätzen, die sein Zwerchfell berührten, war der Film nun ungesehen vor ihm hergeflimmert. Jetzt war da Schnee im Bildschirm, und er schaltete ab. Um Karen noch anzurufen, war es endlich zu spät. So lange hatte er es hinausgeschoben, bis sie sicher schliefe. Er fand sich untreu. Das As im Ärmel, Laura hält mich warm, dachte er. Hält sie mich warm? Denke ich? In Worten oder Bildern?
    Auf der Rückfahrt war er wieder der Schriftsteller. Der Mann mit dem Manuskript in der Tasche, das nur noch rasch überarbeitet werden mußte, um dann ein Buch, ein echtes Buch zu sein. Der Mann mit dem Verlagsvertrag in der Tasche. Der Mann, von dem man noch hören würde. Eine ähnliche Euphorie wie damals nach dem Abitur war in ihm. Es war etwas Junges, jugendlich Unvernünftiges daran, wie er Vergangenheit und Gegenwart so ausschließlich einer Zukunft unterordnete, die irgendwie wertvoller, großartiger und intensiver zu werden versprach. Etwas Naives auch, das war ihm klar, aber dennoch schaffte er es nicht, sich diese Euphorie auszureden. Ich habe schon gelebt, das Leben fängt nicht jetzt erst an, ich werde nicht ab morgen früh die Welt von oben sehen, und ein Schriftsteller ist nichts Besonderes; ein Buch erst recht nicht; außerdem, wer sagt, daß es irgendjemand lesen wird - von alldem versuchte er sich zu überzeugen, aber es gelang nicht. Sein Verstand sagte: Kitsch, Quatsch, kindisch und naiv, doch sein Gefühl sprach: aber sicher werde ich die Welt von oben sehen. Von ganz hoch oben. Die ganze Welt. Mindestens.
    In Giovannis Morgenmantel saß Bo am Küchentisch und starrte fragend in einen Teller Spaghetti.
    »Nicht, was du denkst«, sagte Karen, als Giovanni den Raum betrat. Sie hatte vom Weinen gerötete Augen. Es war kurz vor sechs.
    Er wäre am liebsten umgedreht. So kraß verschieden war das, was er hier fand, von dem, was er den ganzen Weg in sich hierhergetragen hatte, daß er sich fühlte wie ein Eindringling.
    »Was ist?« fragte er, und noch diese

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