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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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aus und brachte die meisten sogar irgendwann zurück.
    Giovanni besuchte ihn ein paarmal bei der Arbeit und war beeindruckt von Ilses Können. Er bewunderte seinen sicheren Umgang mit Pinsel, Spachtel und anderem Gerät. Das hätte er nicht erwartet, daß sein verträumter Freund ein wirklich guter Handwerker war. Er hatte immer aus der Qualität von Ilses Plänen auf die seiner Fähigkeiten geschlossen.
    Seine Bewunderung wurde jedoch von Ilse ruppig abgeschmettert. Er schien das Lob für Spott zu halten.
    Wie konnte man etwas so Unwichtiges wie ein Handwerk loben, wo doch nur die Kunst, der Ruhm und allenfalls noch ein Vermögen Respekt verdienten?
    Er befreundete sich mit Udo, dem Anwalt aus ihrer Clique. Ilses Angewohnheit, bei jedem Auftrag irgendein Detail zu vergessen, einen Fensterrahmen, ein Stück Treppengeländer, sämtliche Scharniere etlicher Türen oder irgend etwas sonst, war die gesunde materielle Basis dieser Freundschaft. In Verbindung mit der Rechtsschutzversicherung, die er vom Vater übernommen hatte. Tatsächlich schaffte es Udo meist, daß Ilse recht bekam und seinen erbosten Kunden keinen Pfennig zurückzahlen mußte. Die beiden fanden immer ein Haar in der Suppe, das sich vor Gericht zu einem Versäumnis oder unrechtmäßigen Verhalten des Kunden aufbauschen ließ. Über Udo bekam Ilse auch Aufträge als Schriftenmaler. Er stattete Boutiquen, Läden, Kneipen und Messestände mit Schriften aus, und der Zuwachs an Kundschaft dieser Art machte es ihm leicht, den Schwund auf der traditionellen Seite des Anstreicherhandwerks zu verschmerzen.
    Eines Abends kam Karen von der Arbeit mit einer Platte unterm Arm, die sie wortlos auf Giovannis Schreibtisch legte. Stefan Moninger - Berührungen. Auf dem Cover ein weichgezeichnetes, stark geschöntes Foto. Die Schreibschrift des Titels erinnerte an Weihnachtsplatten.
    »Na, irgendwo muß er ja bleiben«, sagte Giovanni und legte die Platte auf. Sie klang, wie sie hieß und aussah. Irgendwer hatte Stefan beigebracht, wie man singt, und damit alles, was gut und eigen an ihm gewesen war, planiert. Mit Hilfe bekannter Studiomusiker hatte ein österreichischer Produzent den typischen Dutzendsänger aus ihm gemacht. Alle gängigen Studiotricks und »aktuellen« Klänge waren wohldosiert vorhanden, und die Texte taten ein übriges, Giovanni und Karen erschauern zu lassen. »Du wirst es fühlen, wenn du es nur fühlen willst«, hieß einer der Refrains und »Enge Jeans« ein anderer.
    »Viel Spaß in deinem neuen Beruf«, sagte Giovanni, als der Tonarm sich hob.
     
    In dieser Zeit arbeitete er an einem Auftrag vom Verlag des Rocklexikons. Zusammen mit einem Psychologen, der sich auf Mode spezialisiert hatte, und einem Journalisten aus dem Feuilleton einer Wochenzeitung sollte er, als Musikspezialist, die Jugendkultur der siebziger Jahre porträtieren. Die Arbeit machte Spaß, und er schrieb den überwiegenden Teil seiner Materialsammlung direkt aus der Erinnerung, ohne viel zu recherchieren.
    Während Giovanni die eigenen Gefühle und Gedanken zu den Songs der siebziger Jahre skizzierte, bekam er wieder Lust, eine längere Geschichte zu schreiben. Aber es fielen ihm nur Stimmungen, Bilder und kleine Szenen ein. Bevor er nicht Personen hätte, die ihn durch die Geschichte ziehen konnten, die ein eigenes Leben von ihm forderten, Charaktere, deren Wünschen er nur noch hinterherzuschreiben brauchte, lohnte es sich nicht, Notizen zu machen. Erst mußte eine Person einen Satz besuchen, vorher fing keine Geschichte an. Die Bilder, Gefühle und Szenen kämen dann von alleine wieder.

 
SIEBENUNDVIERZIG
    Die Sache mit Aids war doch noch nicht so eilig. Erst mal ging es gegen die Stationierung von Raketen. Es gab Menschenketten und riesige Demonstrationen, die nannte man »Druck von der Straße«. Dann gab es den amerikanischen Druck auf Nicaragua, den Druck neuer Briefmarken für Grenada, den Druck des Mig-Piloten auf den Abschußknopf, um einen vollbesetzten Jumbo zu zerschmettern, und aus jedem Lautsprecher den Druck von der Bassdrum, ohne den inzwischen überhaupt nichts mehr lief.
     
    In einem Brief von Laura stand »Manchmal erscheinst Du mir wirklicher als meine eigene Küche«. Solche Sätze tauchten alle paar Briefe auf und blitzten aus dem unverbindlichen Ton hervor. Aber immer wenn Giovanni darauf reagierte, kam eine Art Demento zurück. Hausfrauenfrust sei das gewesen, schrieb sie dann, oder »eine nostalgische Anwandlung«. Giovanni fühlte sich von diesen

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