Das Herz meines Feindes
auf. »Guter Gott, hilf mir«, betete sie mit klappernden Zäh nen.
Schließlich folgte das Pferd ihrer Führung, wah r scheinlich war es einfach zu erschöpft, um sich noch weiter zur Wehr zu setzen. Eiskalt umspülte das Wasser Lillianes Beine, und die Röcke wirbelten um ihre Knie. Aber trotzdem zwang sie sich weiterz u gehen. Sie kam nur langsam voran, aber sie glaubte schon, Grund zum Jubeln zu haben, als es geschah.
Ein kleiner Baumstamm, der mit Zweigen übersät war, steuerte in der schnellen Strömung auf sie zu. Lilliane schenkte seinem plötzlichen Auftauchen keine Beachtung, aber Acre bäumte sich erschreckt auf. Die Zweige peitschten ihre Vorderbeine, dann wirbelten sie herum und schlugen ihr gegen die Hinterbeine. In wildem Protest wirbelte die Stute herum und kämpfte um festeren Boden unter den Fü ßen.
Lilliane wurde vollkommen aus dem Gleichgewicht geris sen, als die Zügel ihr in die Hände schnitten. Sie fiel nach vorn in das eisige Wasser und wurde schnell von dem Pferd fortgetrieben. Als sie wieder auf die Füße gekommen war, hatte sich die Stute mit einem Satz aus dem Wasser befreit und schoss mit einem wilden und angsterfüllten Wiehern in den Sturm hinein.
Lilliane war gleichermaßen wütend wie verzweifelt und taumelte auf das Flussufer zu. Sowohl ihr Unterkleid als auch ihr Gewand waren triefend nass und schleiften schwer hinter ihr her.
Sie war bis auf die Knochen durchfroren, und ihre Zähne schlugen wie wild aufeinander. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, wie sie Schutz vor der schrecklichen Kälte finden würde, und schleppte sich auf einen glitschigen, schlammigen Wall zu. Der Regen prasselte wütend auf sie herab, und der Wind schien en t schlossen zu sein, sie nieder zustrecken. Selbst der Fluss schien sich vorgenommen zu ha ben, sie festzuhalten, denn er wirbelte ihre schweren Röcke um ihre Fußgelenke. Aber verbissen kämpfte sie sich aus dem Wasser frei.
Als sie dem Fluss entkommen war, zitterte sie am ganzen Leib. Tränen vermischten sich mit dem Regen, und sie mus ste sich an den knorrigen Stamm einer Eibe klammern, um nicht zu stürzen. Von Aere war keine Spur zu sehen, und Lilliane ließ alle Hoffnung fahren, sie wiederzufinden. Sie konnte nur beten, dass das flüchtige Tier sicher nach Hause finden würde.
Während sie sich schwer an den Baum lehnte, brachen sich die Schluchzer, die sie bis dahin unterdrückt hatte, schließlich Bahn, und es überkam sie fürchterliches Selbst mitleid. Es war einfach ung e recht, dass dieser Sturm ihre Flucht vereitelt hatte. Es war ungerecht, dass sie ihr eigenes Zuhause auf diese Weise verlassen musste. Und es war abso lut ungerecht, dass ihr Vater so unerbittlich entschieden hat te, dass sie diesen brutalen Sir Corbett heiraten musste! Weder Odelia noch Tullia waren so furchtbar behandelt worden, er innerte sie sich, als sie sich die Augen wischte, eine Geste, die keinerlei Wirkung hatte. Ihnen war es gestattet worden, die Männer zu wählen, die sie liebten. Warum hatte man ihr dies verwehrt?
Dies war eine Frage, auf die es keine Antwort gab, zumin dest keine, die sie hätte akzeptieren wollen. Lilliane fühlte sich elender denn je, als sie sich unter das kleine Dach, das ihr die Eibe bot, kauerte.
Es schien Stunden zu dauern, ehe der Regen nachließ. In zwischen war es dunkel. Ganz schwach schien der Mond hinter den schweren Wolken, die dem Sturm folgten. Aber Lilliane sah sich nun einem weiteren Problem gegenüber, denn der heftige Regen hatte den Fluss über seine Ufer treten lassen. Schon auf dem Rücken eines Pferdes wäre die Über querung gefährlich gewesen; zu Fuß war es geradezu un möglich.
Der Klang des wogenden Wassers tobte durch die Nacht und schien alles andere zu ertränken, als sie ohne jede Hoff nung zum weit entfernten, gege n überliegenden Ufer hin überblickte. Sie konnte den Fluss nicht überqueren, gestand sie sich niederg e schlagen ein, als sie sich langsam abwandte.
Und in diesem Augenblick sah sie die riesige Erschei nung.
Auf einem riesigen Streitross saß ein Mann und beobachte te sie schweigend. In der Dunkelheit der Nacht konnte man sein Gesicht nicht erkennen, doch Lilliane wusste trotzdem, wer es war. Einen Augenblick lang schien ihr Herz aufzuhö ren zu schlagen, und sie war wie gelähmt. Sir Corbett hatte sie gefunden. Trotz der Dunkelheit der Nacht, trotz des gewaltigen Sturms hatte er sie ausfindig gemacht. Es war un möglich, und doch war er da. Was für ein Mann war das?
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