Das Herz meines Feindes
Unterfangen war. Welchen Wert hätte sie in einem weiteren Ehevertrag, so gedemütigt, wie sie jetzt war? Jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, wie der große dunkle Ritter sie verführt hatte, errötete sie vor Verlegenheit. Aber das trug nur zur Steigerung ihres Zorns bei.
Doch Sir Corbetts Warnung, dass sie ein Kind erwarten könnte, nagte an ihr. Das war der G e sichtspunkt, der ihren Vater dazu bewegen würde, den einmal eingeschlagenen, wahnsinnigen Kurs weiter zu verfolgen, fürchtete sie. Denn Lilliane wusste ohne Zweifel, dass er sein ungeborenes Enkel kind nicht dem opfern würde, was er ohnehin für ihre närri sche Grille hielt.
Sie hatte keine Gelegenheit, sich noch lange Gedanken darüber zu machen, ob sie ein Kind unter dem Herzen trug. Vor der Tür erklang Thomas langsamer schlurfender Schritt, gefolgt von seinem g e dämpften Klopfen. Als sie ihn eintre ten hieß, war sein Lächeln zärtlich, aber bedauernd.
»Die Gesellschaft erwartet Euch, Mylady. Es sind alle ver sammelt.«
»Und mein Vater? Will er mich vorher nicht sehen?« un terbrach sie ihn ängstlich.
»Er wird beide Töchter ihren neuen Ehemännern zufüh ren.« Mit bedauerndem Blick sah er ihr in die angsterfüllten Augen.
»Ich verstehe.«
Lilliane wandte den Blick ab. Es gab also keine Hoffnung mehr. Ein Schauder der Verzweiflung durchlief sie. Sir Cor bett hatte sein rohes Verhalten ihrem Vater offensichtlich enthüllt, und dieser konnte seine Pläne jetzt nicht mehr än dern, selbst wenn er es wollte. Sie bebte mit jeder Faser ihres Seins, als ihr klar wurde, dass es nur noch wenige Stunden dauern würde, bis sie wieder mit diesem Mann allein sein musste. Diesmal würde er sogar noch mehr Rechte ihr gegen über haben, so mit ihr zu verfahren, wie er es wünschte.
Einen Augenblick lang bedauerte sie beinahe, dass der Zorn sie verleitet hatte, ihr Haar auf solch komplizierte Wei se aufzustecken, wo er doch so ausdrücklich darum gebeten hatte, dass sie es offen tragen möge. Aber es entsprach der Mode, b e schwichtigte sie sich selbst. Dennoch war sie ver sucht, ihren hübschen Spiegel herauszusuchen, der tief in ih rer Truhe verborgen lag. Ob sie wirklich besser aussah, wenn sie ihr Haar lose fallen ließ, oder war das nur wieder einer seiner Tricks, um sie gefügig zu machen?
Das konnte sie nicht beantworten. Als sie aus dem Gemach geführt wurde, kämpfte sie darum, die schreckliche Angst zu unterdrücken, die sie plötzlich zu überwältigen drohte. Sie wollte ihm nicht gehören. Sie wünschte diese Verbindung zwischen Orrick und Colchester nicht.
Aber am meisten fürchtete sie sich davor, dass er nun das Recht haben würde, diese furchtbare Macht, die er über sie hatte, weiterhin auszuüben – und dass sie sich erneut bereitwilligst der Herrschaft seiner zärtlichen Berührung unterwerfen würde.
9
Sir Corbett stand am Fuße der Steintreppe. Er war in eine Tunika aus leuchtendem, weinrotem Samt gekleidet, die mit einem ung e wöhnlichen Muster aus verschlungenen silber nen und goldenen Weinreben bestickt war. Die tiefen Keile auf jeder Seite der Tunika enthüllten dunkle Beinlinge und Kniehosen, die in hohen schwarzen Stiefeln ungewöhnlicher Machart steckten. Er trug weder Umhang noch Mantel, doch sein Schwert hing an einem breiten, reichve r zierten Gürtel an seiner Taille. Er stand regungslos, seine Aufmer k samkeit scheinbar auf nichts Besonderes gerichtet. Doch als Lilliane am Arm ihres Vaters die Treppe hinabstieg, wusste sie, dass seine Augen auf ihr ruhten.
Und dass er nicht erfreut war.
Lord Barton bewältigte den Abstieg langsam und königlich, und Lilliane glaubte, dass ihre Nerven den langen Weg nicht überstehen würden. Sie warf Tullia, die an der anderen Seite ihres Vaters dahinschritt, einen ängstlichen Blick zu, aber das schöne und heitere Gesicht ihrer jüngeren Schwe ster verursachte Lilliane nur noch größere Pein. Tullia erwar tete ihre Hochzeit voller Freude. Sie liebte Santon. Für sie war es, wie es sein sollte, dachte Lilliane und vermied es, die große, stierende Menge anzusehen. Sie heirateten aus dem reinsten aller Gründe, und ihr gemeinsames Leben würde unter dem Segen Gottes stehen.
Im Gegensatz dazu wurde sie in eine Verbindung ge zwungen, die allein aus politischen Gründen und gegen ihre persönlichen Neigu n gen geschlossen wurde. Konnte es für eine solche Ehe überhaupt Hoffnung auf Glück geben?
Unwillkürlich dachte sie an die Nacht, die sie mit Sir Corbett in der
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