Das Herz meines Feindes
selbst ebenso – und hat te dabei geholfen, die Wunden zu heilen, mit denen ihre Ehe begonnen hatte.
Aber jetzt war es sogar schlimmer als zuvor. Zumindest hatte sie früher keine törichten Hoffnu n gen für sie beide ge hegt. Sie war misstrauisch gewesen, immer wachsam. Dann hatte er mit seiner zärtlichen Berührung und seinen geflüs terten Liebkosungen ihren Schutzwall durchbrochen. Er hat te sie mit seinen Küssen eingelullt und ihre Bedenken mit seiner Glut hinweggefegt. Sein Herz war falsch, und sein Be trug hatte sie benebelt und sie zu süßer Gefälligkeit bewegt.
Aber im hellen und harten Morgenlicht sah sie die Wirk lichkeit wieder scharf. Jetzt zeigte er sein wahres Selbst, und das einzige, was sie tun konnte, war, ihr Herz vor ihm zu schützen.
Corbett schnallte sein Schwert aus Damaszener Stahl um und schulterte seine Ledertasche. »Ich bedaure, dich so ver lassen zu müssen, Lily.« Seine Worte klangen rau und sandten einen unwil l kürlichen Schauer über ihren Rücken. Sie konnte ihrer eigenen Stimme nicht vertrauen, deshalb zuckte Lilliane nur die Achseln. Aber als er mit drei langen Schritten zum Bett hinüberschritt, wich sie vor ihm zurück.
Er runzelte die Stirn, aber sie kam jeglichen Fragen zuvor. »Beeil dich. Deine Angelegenheiten können nicht warten.« Sie blickte zu ihm empor und versuchte angestrengt, ihre Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit zu verber gen.
Corbett wiegte sich auf seinen Fersen zurück, und einen Augenblick lang glaubte sie, Unentschlosse n heit in seinen Zügen zu entdecken. Aber dieser Eindruck gab sich so schnell, dass sie sich fragte, ob sie sich nicht getäuscht hatte. Er betrachtete sie eine weitere Sekunde mit seinen undurch dringlichen grauen Augen, bevor er die Hand ausstreckte, um mit einer verirrten Locke ihres kastanienbraunen Haares zu spielen.
»Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wann ich zurück kehre. Ich bedaure die Ungelegenheiten, die dir das verur sacht.« Er hielt inne, und Lilliane hielt den Atem an. Ihr Zorn hatte bereits begonnen, unter seiner lässigen, besitzergreifen den Geste zu verra u chen. Sie wollte ihn bitten zu bleiben, aber der Stolz hielt sie zurück. Doch immer noch hoffte sie auf ein Wort von ihm – auf irgend etwas –, das die Leere in ihrem Inneren füllen würde.
Es sollte nicht sein. Mit einem leichten Stirnrunzeln ließ Corbett die seidige Strähne los und machte einen Schritt von ihr fort.
»Mach’s gut, Lily.« Dann war er fort.
Die Sonne war noch ein rotes Glühen hinter den Wäldern in der Ferne, als Lilliane in den Schlosshof eilte. Sie hatte sich hastig angekleidet, hatte das gleiche saphirblaue Gewand übergestreift, in dem sie geheiratet hatte, aber diesmal ohne die Wohltat eines Unterkleides, dann hatte sie ihre bestickten Seide n schuhe angelegt und einen gewobenen Wollschal über ihre Schultern gelegt.
Sie war nicht sicher, warum sie Corbett gefolgt war.
Teilweise war die Stille in dem leeren Schlafzimmer daran Schuld. Nach seiner Abwesenheit erschien es ihr sogar noch kälter, als es wirklich war. Teilweise war ihr Entschluss dafür verantwortlich, dass ihre Gäste sie weniger bemitleiden wür den, wenn sie ihn vera b schieden würde. Zumindest konnte sie dann die Illusion einer gemeinsamen Front mit ihm herstellen. Niemand musste wissen, dass sie so plötzlich verlas sen worden war.
Sie wollte sich selbst nicht eingestehen, dass sie immer noch auf ein Zeichen seiner Wertschätzung hoffte, deshalb schob sie diesen Gedanken energisch beiseite. Doch als Cor bett sich umwandte, als sie sich näherte, konnte sie das hef tige Pochen ihres Herzens ebenso wenig verleugnen wie die Furcht und Unsicherheit, die von ihr Besitz ergriff.
Er hatte mitten in seiner Unterhaltung mit einer Gruppe von Rittern innegehalten. Nach kurzem Zögern gab er ihnen ein paar letzte Anweisungen. Dann schritt er sofort über den bevölkerten Hof zu ihr hinüber, wo sie allein in der frischen Morgenluft stand.
Lillianes Herz schlug schneller, als er vor ihr stehen blieb. Er war genauso gekleidet wie an jenem Tag, da er zum er sten Mal in den Hof von Orrick eingeritten war, in der Robe des Kriegers. Damals war sie in Ehrfurcht erstarrt. Jetzt konnte sie kaum glauben, dass dieser grimmige Ritter der gleiche Mann war, der sie so zärtlich in seinen Armen gehalten hatte.
»Ich habe nicht erwartet, dass du kommst, um mir Lebe wohl zu sagen.«
Lilliane blickte in sein ernstes Gesicht hinauf. Unsicher schürzte sie
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