Das Herz meines Feindes
hatte, und ein paar Sekunden war Lilliane so schockiert, dass sie nur daliegen und ihn anstarren konnte. Dann fegte die kalte Luft über ihre heiße Haut, und sie wurde sich noch schmerzhafter der Abwesenheit seines starken, warmen Körpers bewusst.
Mit einem zornigen Ruck zog sie die Decke über ihren Leib. Sie wollte ihren Kopf unter ihrer schützenden Wärme verbergen, aber der Stolz ließ das nicht zu. Als sie es schließ lich riskierte, Corbett, der nun im sanften Licht des anbre chenden Morgens stand, einen Blick zuzuwerfen, hatte er be reits seine Beinlinge übergestreift und befestigte die Kniehose an seinen muskulösen Waden.
Trotz ihres Zorns – und ihres Schmerzes – konnte Lilliane die männliche Schönheit ihres Gemahls nicht abstreiten. Oh, sie erkannte wohl, dass seine Schönheit nicht mit Williams zu vergleichen war. Er hatte zu viele Narben, war zu sehr von dem harten Leben, das er geführt hatte, gezeichnet. Doch das schien die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, nur noch zu verstärken. Er war hart wie Granit, so unnachgiebig wie die Eiche, so kampferprobt wie der Stahl seiner Waffen.
»Ich muss dich jetzt verlassen.« Seine plötzlichen Worte unterbr a chen ihre Gedanken.
»Es ist mir schon klar genug, dass du gehst«, antwortete sie in gereizterem Ton, als sie beabsichtigt hatte.
In diesem Augenblick schaute er auf, und sie konnte se hen, dass er die Stirn runzelte. »Nein, Lily. Ich meine, ich muss Orrick verlassen. Ich habe Angelegenheiten zu erledigen, die nicht warten können.«
So verletzt sie auch gewesen war, dass er sich aus ihrem Bett entfernt hatte, das war nichts verglichen mit der Härte dieses neuen Schlages. Ungläubig starrte sie ihn an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Sie konnte nur regungs los liegen bleiben und ihn anschauen.
Corbett schien mit seinen Kleidern sehr beschä f tigt zu sein, und so herrschte zwischen ihnen ein langes Schweigen. Lilliane sank das Herz, als ihr schließlich die volle Bedeu tung der Worte aufging, und sie war kaum in der Lage, ihre Tränen zurüc k zuhalten. Jedenfalls wandte sie das Gesicht von ihm ab und schloss ihre Augen fest, um den verräter i schen Schmerz, den sie spürte, zu bezwingen.
Verdammt sollte er sein! fluchte sie innerlich vor sich hin.
Verdammt sollte er sein, weil er es wagte, sie so zu behandeln! Kaum verheiratet und schon verlassen, sie würde den Gästen, die mit Fug und Recht einen weiteren Tag der Fest lichkeiten erwarteten, recht bemitleidenswert vorkommen. Doch nicht der Gedanke an ihr Mitleid hinterließ diese schreckliche Leere in ihrer Brust. Von den Höhen der Lei denschaft hatte er sie in die schreckliche Tiefe der Verlassen heit gestürzt. Er hatte ihr Hoffnung gegeben, dass ihre Ehe vielleicht doch erfolgreich sein würde, aber dann hatte er sich auf der Stelle herumgedreht und deutlich gemacht, wie gleichgültig sie ihm war.
Sie war so voller Staunen und Freude gewesen, dass sie sich nun leer und ausgepumpt fühlte. Aber sie wollte nicht weinen, schwor sie sich, als sie die Tränen hinunterschluck te. Nie wieder würde er sie zum Weinen bringen.
»Wo gehst du hin?« Ihre Stimme war leise, vol l kommen beherrscht. Sie musste sich sehr anstrengen, um sich überhaupt im Bett aufz u setzen.
Er antwortete nicht sofort, sondern konzentrierte sich auf die Bänder seiner Stiefel. »Ich muss einige Angelegenheiten regeln. Eine Pflicht, die ich dem König gegenüber zu erfüllen habe. Etwas, an dem du nicht interessiert wärest«, fügte er kurz angebunden hinzu.
Schließlich sah er sie an, als er seine kurze Lede r tunika über seinen breiten Schultern befestigte. Sein Gesichtsausdruck war unergrün d lich, und beinahe hätte sie ihre Selbst beherrschung fahren lassen. Eine Pflicht dem König gegen über? Was konnte denn so außerordentlich wichtig sein? Und was war mit seiner Pflicht seiner Frau gegenüber? War um, oh warum konnte er nicht wenigstens ein bisschen Inter esse für sie aufbringen? Er schien durchaus zufrieden mit ihr zu sein, doch wenn das wirklich so wäre, würde er sie nicht auf diese Weise verlassen. Was für eine Angelegenheit konn te so dringend sein, dass er das Hochzeitsbett verlassen mus ste?
Als Lilliane sich auf die Bettkante setzte, das Leinentuch fest bis zum Kinn hochgezogen, kam ihre ganze Unsicher heit wieder an die Oberfläche. Er hatte eine jungfräuliche Er bin gewollt, und so war sie zu ihm gekommen. Die Leiden schaft hatte ihn übe r rascht – und sie
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