Das Herz meines Feindes
überraschen und ihre Pläne zu vereiteln? Wenn ja, dann war er seinem Ziel recht nah gekommen, wie ihr klar wurde, als sich die Brücke über dem Graben schließlich Zentimeter um Zentimeter nach oben zu bewegen begann.
Aber wenn er wusste, dass ihm das Schloss verschlossen sein würde, wäre er dann mit seinen Männern so kühn am helllichten Tag einhergeritten? Hätten sie sich nicht eher vor sichtig und im Dunkel der Nacht bewegt?
Lilliane runzelte die Stirn, als sie ihren Garten beobachte te. Er war eindeutig überrascht gewesen, als sich die alte Brücke vor ihm verschloss. Als sein Pferd das letzte Stück der harten, steinigen Straße entlang donnerte, flohen die Dorfbe wohner, denen der Zugang zum Schloss nun versperrt war, in die Felder. Als er sein mächtiges Streitross am Rande des Schlossgrabens zu einem abrupten Halt brachte, konnte Lil liane den Zorn fühlen, der von ihm ausging. Es bedurfte der Aufbietung all ihrer Kräfte, um sich nicht hinter einer der Zinnen vor ihm zu verbergen.
Aber sie war eine Tochter Orricks, rief sie sich ins Ge dächtnis, und sie war im Recht. Trotzdem lief ein Schauder der Angst ihren Rücken hinab, als sie auf die finstere Gestalt ihres Mannes hinabsah.
»Ha! Jetzt haben wir ihn!« krähte William, als er sich über die Zinne beugte.
»Du solltest lieber mich mit ihm verhandeln lassen«, un terbrach ihn Lilliane. »Wir können nicht wissen, welche Ra che er an denen nimmt, die mir helfen.«
Bei diesen Worten trat William schnell von der Steinbrü stung zurück. »Es ist unwahrscheinlich, dass er überhaupt noch in der Lage sein wird, Rache zu nehmen.« Aber er klang eher verdrossen als überheblich.
»Er ist immer noch ein Günstling Edwards«, murmelte Lilliane unbehaglich. Sie beobachtete, wie der zweite Ritter aufholte und an Corbetts Seite zum Stehen kam. »Wir können nur hoffen, dass König Edward ein solch hinterhältiges Verbrechen wie Mord nicht verzeiht.«
Nachdem der andere sich kurz mit Corbett beraten hatte, ritt er ebenso geschwind wieder davon, wie er gekommen war. Um die nachfolgenden Ritter zusammenzutrommeln, wie Lilliane vermutete. Ihr sank das Herz, als sie ihren Mann ansah. Gelassen und regungslos saß er auf seinem Ross auf der abrupt zu seinen Füßen endenden Straße. Als er weiter hin schwieg, schienen ihre Nerven fast bis zum Zerreißen ge spannt. Dann ließ er seine Augen über die zinnenb e wehrte Brustwehr schweifen, bis er sie gefunden hätte.
Lilliane schluckte krampfartig, als sein Blick den ihren festhielt. Sie glaubte, sich sehr wohl an die Kraft dieses Blic kes und die Willen s stärke, die ihm zugrunde lag, erinnern zu können. Aber ihre Erinnerungen verblassten angesichts der Wirklic h keit. Dann sprach er sie an, und zwar so, als ob niemand außer ihnen beiden anwesend wäre.
»Lass die Brücke herabsenken, Lily«, befahl er.
Schweigen legte sich über das gesamte Schloss, als er auf ihre Antwort wartete.
»Orricks Pforten sind dir verschlossen. Geh fort.« Obwohl ihre Stimme klar und laut klang, zitterte sie von Kopf bis Fuß.
»Kraft meiner Eheschließung mit dir gehört Orrick mir. Vergisst du so schnell, dass wir Mann und Frau sind?«
Angesichts dieser arroganten Erinnerung konnte sie sich nicht länger beherrschen. »Ich vergesse gar nichts! Besonders nicht den Mord an meinem Vater!«
Als er von ihrer Anklage überrascht zu sein schien, wur de sie noch aufgebrachter. »Bist du so übe r rascht, dass wir es herausgefunden haben? Hast du nichts zu deiner Vertei digung vorzubringen?« rief sie in schneidendem Sarkas mus. »Zumindest hätte ich eine Unschuldsbeteuerung er wartet.«
Corbetts dunkelgraue Augen blickten sie unve r wandt an. Als er sprach, verwirrte sie seine Ruhe noch mehr. »Das ist ein Thema, das wir unter vier Augen diskutieren sollten, Lily. Dein Vater hatte ein besonderes Gespür für diese Dinge.«
»Mein Vater ist tot, und zwar durch die Hand deines Günstlings!« rief sie schluchzend. »Du bist der einzige, der aus seinem Tod einen Vorteil zieht!«
»Sein Tod bietet mir nichts, das ich nicht schon habe. Be stimmt hätte ich nicht einen meiner Männer diese Aufgabe verrichten lassen. Wenn ich ihm den Tod gewünscht hätte, wäre er von meiner eigenen Hand gestorben!«
»Lügner! Lügner!« schrie sie.
»Komm mit mir, Lilliane.« William legte seinen Arm schützend um ihre Schultern. »Du musst dich nicht länger mit ihm abgeben.«
Corbett schien äußerlich von Williams unerwart e ter Ge
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