Das Herz meines Feindes
genwart und seinem fürsorglichen Betragen unberührt. Aber sie spürte seinen Zorn auf der Stelle.
Als ob ein Sturm in der Luft läge, füllte sich Luft zwischen ihnen mit knisternder Spannung. Sie schüttelte Williams Arm mit einer nervösen Geste ab, dann wandte sie sich um, um ihrem angespannten Mann eine letzte Anschuldigung ins Gesicht zu schleudern.
In diesem Augenblick sah sie, wie sich der Rest seiner Männer näherte. Sie breiteten sich wie ein Fächer über den Wiesen auf und trieben die unglüc k lichen Dorfbewohner vor sich her. Langsam, aber unbarmherzig zwangen sie die Dörf ler in einer großen Gruppe genau hinter Corbett stehen zu bleiben. Obwohl er sich nicht umwandte, wusste Lilliane, dass ihm bekannt war, was hinter ihm vor sich ging. Sie war sich sicher, dass es seine Idee gewesen war und dass er darauf ver traute, dass seine Männer jede seiner Grillen ausführen wür den.
»Was… was hast du vor?« fragte Lilliane voller Angst; ih re Stimme klang in der Stille, die von dem Schloss Besitz er griffen hatte, ganz dünn.
Seine Augen waren unverwandt auf sie gerichtet, und sie glaubte zu erkennen, wie ein bitteres Lächeln seine Lippen umspielte. »Ich habe vor, Orrick einzunehmen, zu baden und vorzüglich zu speisen.« Er hielt inne. »Lass die Brücke herabsenken, Lily.«
Es folgte eine schreckliche Stille.
»Und wenn ich das nicht tue?« Ihre Stimme zitterte trotz ihres angestrengten Versuchs, ruhig zu klingen.
Seine Züge wurden hart. Dann wandte er sich um und blickte auf die dicht zusammengedrängten Dorfbewohner. »Die ältesten von Euch sollen vortreten.«
Murmeln und Unruhe erhob sich unter der armen Grup pe. Dann trennten sich zwei schlanke Gestalten aus dem Rest, und Lilliane schrie vor Schreck auf. Thomas war von seiner Reise zu seinem Sohn zurückgekehrt, aber zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Und neben ihm stand aus gerechnet Mutter Grendella!
»Was tust du?« rief Lilliane nach unten, sie war jetzt furchtbar verängstigt.
»Ich tue gar nichts. Noch nicht.« Corbett lächelte grimmig zu ihr hinauf. »Der nächste Zug ist der Eure, meine hoch wohlgeborene Gattin.«
Lillianes erster Impuls bestand darin, ihren Vater zu fra gen. Aber erneut ging ihr auf, dass sie das niemals wieder würde tun können, und eine neue und schreckliche Angst fegte über sie hinweg. Corbett of Colchester saß vor ihr und verhöhnte ihren armseligen Versuch, sich ihm in den Weg zu stellen, und sie wusste, dass sie nichts dagegen unterneh men konnte. Er hielt das Leben von Thomas und Grendella und so vieler anderer in der Hand und bedrohte sie damit. Ihre weit aufgerissenen, verängstigten Augen trafen erneut seinen Blick, und sie suchte verzweifelt nach einem schwachen Punkt in seinem harten Verhalten, nach einem Zeichen des Mitleids in seinem grimmigen Antlitz. Das war der glei che Mann, der so zärtlich zu ihr gewesen war. Aber er war auch derjenige, den man den Lockvogel des Königs nannte. Er war ein harter, brutaler Ritter, der entschlossen war, sie zu übervorteilen. ……
Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, als sie sich von seinem durchdringenden Blick löste. Aber William trat ihr in den Weg.
»Gib nicht nach, Lilliane.« Er griff nach ihren Schultern.
»Und was ist dann? Soll ich dann zusehen, wie er meine Leute abschlachtet?«
»Er tut es sowieso. Wenn du ihn hineinlässt, was soll ihn davon abhalten, alles zu tun, was er will?«
Lilliane wich vor Williams Griff zurück. Ihre bernsteinfar benen Augen waren feucht vor Tränen. »Ich kann nicht glau ben, dass er so weit gehen würde. Sie sind doch nur unschul dige Dorfbewohner. Er hat keinen Zwist mit ihnen…«
»Hat sich denn dein Vater irgendeines Vergehens schul dig g e macht? Nein! Aber er musste trotzdem sterben! Glaubst du denn wirklich daran, dass Colchester einer Hand voll bemitleidenswerter alter Dorfbewohner irgendeinen Wert beimisst?«
»Vielleicht nicht. Darin hast du recht. Aber ich messe ihnen Wert bei. Und ich werde nicht zusehen, wie sie dahinge schlachtet werden. Jetzt nicht. Niemals.« Mit diesen Worten hob sie ihre Röcke und eilte aus dem Pförtnerhaus auf den Hauptmann der Wachen zu.
Als die Brücke heruntergelassen worden war, stand Lillia ne im Schlosshof. Sie stand alleine da und wartete auf Corbett. Was jetzt folgen würde, wusste sie nicht. Aber sie hatte die Wachen ermahnt, zurückzutreten und ihrem Mann keine Gegenwehr zu zeigen. Ihre letzte Hoffnung bestand darin, dass die
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