Das Herz meines Feindes
er ist…«, stotterte Lilliane in dem verzwe i felten Versuch, sich daran zu erinnern, wo sie in ihrem Zorn ihren Ehering hing e worfen hatte. Aber Corbetts misstrauischer Blick brachte sie nur noch stärker aus der Fassung. »Ich war… ich war mir deiner nicht sicher. Mein Vater war tot…«
»Aufgrund natürlicher Ursachen«, warf er kurz ein.
»Ja«, stimmte sie nervös zu. »Aber das wusste ich nicht, und als William…«
Lilliane sank das Herz bei dem steinernen Au s druck auf Corbetts Antlitz, als Williams Name fiel. Einen langen, ange spannten Auge n blick lang ragte er bedrohlich über ihr auf. Dann rollte er sich von ihr fort und setzte sich auf die Bett kante.
Die flackernden Überreste des Feuers glitzerten auf seinen feuchten Schultern und umrahmten ihn mit Gold. Doch sie war sicher, dass nun keine Wärme mehr von ihm ausging. Sie erschauerte, als die kühle Nachtluft ihre nackte Haut berühr te, und zog sich die schwere Decke zu ihrem Kinn hinauf. Sie fürchtete, dass er sie jetzt verlassen würde, und sie kämpfte um die richtigen Worte, die ihre vorschnelle Han d lungswei se beschönigen konnten. Als er wieder sprach, war sie er schrocken über seinen düsteren Ton.
»William verbringt die heutige Nacht in seinem Gemach. Er steht unter Arrest.« Er wandte den Kopf zu ihr und hielt sie mit seinen dunklen Blicken fest. »Niemand sollte mir auch nur einen Grund geben, ihn in den Kerker zu sperren. Niemand sollte mir auch nur einen Grund geben, um wegen seiner Verschlagenheit Rache an ihm zu nehmen.«
»Er hat mir nicht aus Verschlagenheit geholfen«, wider sprach Lilliane sanft.
»Nein?« Seine narbige Augenbraue wölbte sich in spöttischem Zweifel. »Dann sag mir, warum er es tat.«
»Er… er wollte mir einfach nur helfen.«
»Er wollte sich selbst helfen.« Seine Kiefer arbe i teten. »Und um dich zu gewinnen.«
»Das ist nicht wahr!« Sie wollte sich aufsetzen, aber er brachte sie mit einem grimmigen Blick zum Schweigen.
»Du bist meine Frau, Lily. Meine! Ich war mehr als nach sichtig mit dir, weil ich weiß, was es heißt, ein Elternteil zu verlieren. Aber hör auf meine Worte, Weib. Heute bist du zu weit gegangen. Es gibt ein paar Dinge, die ich nicht dulden werde.«
Sie vermochte nicht zu antworten. Als er sich schließlich zurüc k legte und die Decke über sich zog, blieb sie still und ruhig liegen. So blieben sie in der Dunkelheit nebeneinander liegen, bis er erneut das Wort ergriff.
»Morgen reist er ab. Mehr Milde kann ich ihm gegenüber nicht walten lassen.« Er sprach ohne jede Erregung, doch sie wusste, dass es hinter seiner gefassten Fassade brodelte. Doch sie musste ihn auf die näheren Umstände aufmerksam ma chen.
»Lady Verone kann nicht reisen«, sagte sie ruhig.
Er drehte sich um, doch sie hielt ihre Augen auf die hohe, übe r schattete Decke gerichtet. »Ihr Kind kann jeden Tag kommen, aber es ist zu früh«, fuhr sie fort. »Sie darf nicht reisen.«
Sie hörte einen leisen, erstickten Fluch. Als er dann sprach, war seine Stimme beherrscht.
»Stell mich nicht als Bösewicht dar, Lily.« Er griff nach ihr und zog sie dicht an seine Brust. »Ich bin jetzt der Herr auf Orrick. Du bist meine Frau und hier die Herrin. Aber ich bin dein Herr.«
»Ja, du bist jetzt hier der Herr. Aber bin ich wirklich Her rin? Du beraubst mich jeder Autorität. Du hetzt meine eigenen Wachen gegen mich auf!« murmelte sie hitzig.
Seine Hand legte sich besitzergreifend auf ihren Bauch, und er zog sie dicht an seine Lenden. »Ich habe dich zuvor schon einmal gewarnt, mich nicht zu bekämpfen. Aber du hast dich geweigert, mir zuzuhören. Vielleicht machst du diesen Fehler jetzt nicht noch einmal.«
Lilliane wusste, dass es zwecklos sein würde, mit ihm zu streiten, obwohl der Zorn in ihr schwellte. Sie versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass die Zeit ihren Konflikt viel leicht abschwächen würde. Sie würden sich aneinander ge wöhnen, und das Leben auf Orrick würde in geordneteren Bahnen verlaufen. Aber selbst das würde nicht so ohne wei teres gelingen.
Als sie sich zögernd neben ihm entspannte und sich daran zu gewöhnen versuchte, in solch intimer Umarmung einzuschlafen, seufzte sie tief. Sie würde sich noch so manchem Streit mit ihm stellen müssen. Er wollte, dass William ging. Um die Wahrheit zu sagen, sie wünschte sich das gleiche. Aber Lady Verone war eine ganz andere Angelegenheit. Sie kämpfte um ihr Kind. Lilliane wusste, dass sie für ihre neue Freundin nicht
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