Das Herz Von Elowia
Barrns Augen keine Hinterlist, sondern nur aufrichtige Besorgnis sehen. Er würde sie nicht anlügen. So hoffte sie jedenfalls.
Mit einem beherzten Griff zum Wasserbehälter, schob sie sich die Pastillen in den Mund und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Wasser hinunter.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten und Lilith wurde unerträglich heiß. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Sie fühlte, wie ihr Geist in andere Sphären driftete und ihr Körper von einer bleiernen Schwere heimgesucht wurde.
»Ich sterbe«, jammerte sie und krallte sich in seinen Arm. »Du hast mich vergiftet.«
Barrn löste behutsam ihre Finger aus seinem Fleisch und besah sich verdrießlich die roten Spuren, die ihre Fingernägel auf seiner Haut hinterlassen hatten. »Du wirst nicht sterben. Es ist nur sehr unangenehm. Mehr auch nicht. Hör auf, gegen das Sternenkraut anzukämpfen.«
»Die Dosis ist bestimmt zu hoch gewesen«, stöhnte Lilith, deren Körper sich zusammenkrampfte und sie sich fragte, wie er wohl unangenehm definierte.
Er drückte ihren Oberkörper runter. »Wenn du auf mich hören würdest, hättest du keine Schmerzen. Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht dagegen wehren sollst. Das Gift wirkt auf deinen Diamanten. Wenn du aufhörst, ihn zu aktivieren, dann werden auch die Schmerzen nachlassen. Du hast nur einen Bruchteil der gefährlichen Dosis bekommen. Aber eine geringe Auswirkung auf deinen Organismus lässt sich leider nicht vermeiden, weil ihr symbiotisch seid. Wahrscheinlich wirst du bald ohnmächtig werden. Aber jetzt haben wir wenigstens eine Galgenfrist von zwei Tage, in denen wir dich zu einem Heiler bringen können, danach lässt die Wirkung des Krauts nach.«
Lilith schaffte es nicht mehr zu antworten und sank kraftlos zusammen. Sie träumte einen seltsamen Traum.
Sie war ein kleines Mädchen. Sie lief durch die hellen Gassen ihrer Heimat, vorbei an den weiß getünchten Steinhäusern mit den sorgfältig gedeckten Strohdächern. Kindergeschrei und Gelächter drangen an ihr Ohr. An den Straßenrändern blühten drahtige Wüstenblumen und verströmten ihr süßes Aroma, doch für all die kleinen Wunder der Natur, hatte sie keine Zeit. Sie rannte blindlings hinter einer großen Gestalt her, die keine Rücksicht auf ihre kurzen Beinchen nahm, und ungerührt ihren Weg in einem Tempo führte, dass sie ihr kaum folgen konnte.
Die scharfen Kieselsteine auf dem Weg zerstachen ihre Fußsohlen und hinterließen blutige Kerben. Die Gestalt flimmerte in der Hitze der Sonne und entfernte sich immer weiter von ihr. Sie beschleunigte ihre Schritte, ungeachtet der Schmerzen, und schrie voller Verzweiflung: »Mama. Mama, bitte bleib doch stehen. Warte auf mich, lass mich nicht alleine.«
Doch der schlanke Schatten blieb nicht stehen, sondern ging stur geradeaus weiter.
»Mama.« Fast hatte sie die Gestalt erreicht. Sie streckte ihr kleines Ärmchen aus und versuchte den wehenden Rock der Mutter zu erhaschen, doch der Stoff glitt ihr durch die Finger.
Die kleinen Füße bluteten und waren wund gelaufen, doch sie tapste weiter. Schritt um Schritt.
Sie schniefte und die Tränen nahmen ihr die Sicht. Die schwarze Gestalt verschwamm vor ihren Augen. Sie stolperte und schlug der Länge nach hin. Der weiße Stoff ihres Kleides verfärbte sich rot.
»Mama«, weinte Lilith, und endlich drehte sich die Gestalt um, doch es war keine Dämonenaugen, sondern die Augen einer Diamantanerin, die sie kalt musterten.
Lilith wachte keuchend auf. Sie lag auf einer Decke neben einem Lagerfeuer, was schon fast vollständig heruntergebrannt war.
Nasse Spuren in ihrem Gesicht sagten ihr, dass sie nicht nur im Traum geweint hatte. Barrn saß neben ihr und hielt einen Maiskolben in die glühende Asche. »Sternenkraut wird oft auch das Wahrheitskraut genannt. Es verschafft Klarträume«, erläuterte er leise.
Lilith rieb sich verschämt mit ihrem Hemdsärmel über das Gesicht, während Barrn den Kolben in der Glut drehte.
Als er von allen Seiten braun war, reichte er ihn ihr.
»Ich habe nichts geträumt. Jedenfalls nichts, was wahr ist«, sagte sie schnippisch, bevor sie ihm hungrig den Kolben entriss, hinein biss und sich den Mund verbrannte.
»So, so«, säuselte Barrn nur gelangweilt und biss ebenfalls in seinen Maiskolben hinein.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, wollte Lilith wissen, bevor sie einen weiteren Bissen nahm und schmatzend kaute. Sie wollte nicht weiter über den Traum nachdenken müssen.
»Einen Tag und die halbe Nacht.
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