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Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Akers
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metronomischen Prophezeiungen. Ihm zufolge ist das Leben ein seelenloses Muster, und dasselbe gilt für den Tod. Die heiligen Erschaffer des Algorithmus predigen ein Leben nach dem Tod, das einem Uhrwerk gleicht, den verborgenen Triebwerken der Welt, die sich lichten und die Gleichung in der Mitte offenbaren, die Gleichung, die Gott ist.
    Ich halte an den alten Göttern fest. Man stelle sich also meine Enttäuschung vor, als die Dunkelheit, die mich umfing, nachdem die Pracht des Tages auf dem kalten Wasser des Reines zerschellt war, nur eine Weile andauerte. Dann setzte Licht ein, begleitet von Geräuschen. Ich schlug die Augen auf und erblickte eine Welt von Mustern und Maschinen. Die Welt des Algorithmus.
    »Ach, Scheiße«, murmelte ich. Meine Stimme klang belegt, als hätte ich gebrüllt. Die Decke über mir glich einem lebendigen Gemälde eines Präzisionsuhrwerks aus Zahnrädern, Hemmungen und Federn, die geräuschvoll klickten, tickten und ächzten. Metall klirrte gegen Metall. Nicht meine Vorstellung vom Paradies. Ich versuchte, mich aufzusetzen, und stellte fest, dass ich schwach und nackt war. Als ich an mir hinabblickte, sah ich, dass ich an ein Bett gefesselt war, nur von einem dünnen Laken aus weißem Leinen bedeckt. Ich spuckte aus, und ein Pfropf getrockneter Blätter verteilte sich über meine Brust. Im Mund hatte ich den Geschmack von Erde.
    Balsamierungskräuter. Sie hatten vor, mich zu begraben. Ich sah mich um. Ordentlich zu beiden Seiten aufgereiht befanden sich weitere Körper. Eine Menge davon. Etwa so viele, wie man wohl aus einem im Fluss abgestürzten Luftschiff bergen würde. Ich befreite mich von meinen zeremoniellen Fesseln und stand auf. Hinter mir kreischte jemand.
    Ich erblickte eine Tür, an der sich eine Gruppe von Erschaffern des Algorithmus scharte. Sie zitterten unter ihren schmierigen braunen Kutten. Ich wickelte mir das Laken um die Hüften.
    »Kann ich meine Kleider zurückhaben?«
    Rasch kamen sie meiner Aufforderung nach. Mit dem Großteil meiner Habseligkeiten verließ ich die Kirche des Algorithmus. Die Pistole war ebenso verschwunden wie meine Stiefel. Das Hemd hatte man mir vom Leib geschnitten, aber mit meiner Hose war man sorgsam umgegangen. Es war eine schöne Hose. Wahrscheinlich hatte ein geschäftstüchtiger Erschaffer darin Qualität erkannt, die er später verkaufen könnte. Auch meine Jacke erwies sich als unversehrt. Und überraschenderweise hatte ich noch das Mechagen, das Marcus mir nur wenige Momente vor seinem Tod in die Hand gedrückt hatte. Es befand sich nach wie vor in der Innentasche meiner Jacke, deren Futter noch kalt und feucht vom Fluss war. Den Celesten sei Dank.
    »Er hat nicht wie jemand auf dem Weg zum Sterben gewirkt«, sagte ich. Auf meiner Handfläche lag das Ding, das Marcus mir gegeben hatte. Die geringste Bewegung meines Arms setzte die inneren Abläufe in Gang, brachte im zentralen Komplex Getriebe und Zahnräder zum Rotieren. Ich drehte es langsam unter dem Licht auf Emilys Schreibtisch. »Er wirkte nur wie jemand auf dem Weg irgendwohin. Als wüsste er, wohin er wollte.«
    Emily zuckte mit den Schultern. Sie schenkte mir noch nicht wirklich Beachtung, nicht in dieser Phase des Gesprächs. So lief es zwischen uns. Sie saß über ein Wirtschaftsbuch gebeugt, trug Lieferungen ein und füllte Kontenspalten aus. Tintenkleckse prangten an ihren Fingern. Sie trug das Haar hochgesteckt, doch einige Strähnen waren herausgefallen und umrahmten ihr Gesicht wie ein zarter Schleier aus Gold, in dem sich das Licht der Glühlampe auf dem Tisch widerspiegelte. Emily sah bildhübsch aus.
    »Vielleicht wusste er es. Vielleicht wollte er bloß nicht bleiben und verbrennen wie alle anderen.« Sie schaute auf. »Vielleicht wollte er einfach ein rasches Ende. Vielleicht konnte er es kaum erwarten, sich den Fehn anzuschließen.«
    Mich schauderte. Die Flussbewohner, die Fehn, waren kaum mehr als animierte Leichen, übernommen von einem flachen Wurm, der in den tiefen Strömungen des Reines hauste. Sie redeten wie die Menschen, die sie gewesen waren, bevor sie starben, doch sie waren etwas völlig anderes.
    »Ich habe gehört, die Fehn helfen bei der Bergung«, sagte ich. »Der Rat sammelt die Pracht zusammen, will die Teile für eine Art Denkmal verwenden.«
    »Scheint mir angemessen zu sein«, meinte sie. »Etwas, um daran zu erinnern, schätze ich mal. So etwas gehört sich, wenn ein Luftschiff abstürzt und alle an Bord ums Leben kommen.«
    »Nicht

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