Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
Patronen und eine leere Kammer?« Er zuckte zusammen, allerdings nicht so, wie ich gehofft hatte.
»Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht. Soll das eine Art Drohung sein?«
»Das wurde ich heute Abend bereits zwei Mal gefragt. Zwei Mal. Ich mache das jetzt schon so viele Jahre, dass man meinen sollte, die Leute wüssten, wann ich eine Drohung ausspreche.«
»Also … also ist es keine Drohung.«
Ich seufzte und schwenkte eine Hand in Richtung der Tür. »Das war lange genug. Verschwinden Sie, Prescott.« Er nickte knapp und ging hinaus. Ich schloss für den Fall hinter ihm ab, dass ein anderes Paar Turteltäubchen auf die Idee käme, das Zimmer sofort zu benutzen. Bevor ich in den Saal zurückkehrte, wollte ich ein paar Minuten für mich allein. Ich hatte mich gerade von der Tür abgewandt, als der Knauf ausgesprochen leise ratterte. Jemand versuchte, die Tür zu öffnen, ohne Lärm zu verursachen.
Ich zog die Pistole, drehte mich um und steuerte rücklings auf die andere Tür zu, jene, die zu den Dienstbotengängen führte. Ich öffnete sie, so leise ich konnte, und trat hinaus. Der Gang erwies sich als schlicht und warm, aber der Boden war mit dicken Läufern ausgelegt, damit sich Butler und Dienstmädchen durch das Haus bewegen konnten, ohne die besseren Herrschaften zu stören. Im Augenblick befand sich niemand in der Nähe, also zog ich die Tür fast zu und wartete.
Wer auch immer in den Raum zu versuchen gelangte, zeigte sich beharrlich. Als sich die Tür nicht gleich öffnete, zögerte derjenige. Kurz darauf ertönte ein schnarrendes Geräusch, und der Knauf begann zu summen. Eine Schlüsselmaschine, die das Schloss heftig bearbeitete. Türen wie diese waren nicht dafür geschaffen, solcherlei Beeinflussung standzuhalten, und sie gab im Nu nach.
Die Tür glitt auf, nur ein wenig, gerade genug, um den Ausschnitt eines Gesichts und ein wolkenblaues Auge preiszugeben. Die Hand des Unbekannten ruhte auf dem Türknauf. Der Aufschlag des Ärmels war dunkelblau – die Manschette eines Schöpfers. Er sah sich im Zimmer um, stellte fest, dass es verwaist war, und verschwand. Ich harrte lang genug aus, um mitzubekommen, wie eine Minute später ein Offizier den Raum betrat, jeden Arm um ein Mädchen geschlungen. Ich überließ sie ihrem Vergnügen, steckte die Pistole weg und schlich den Dienstkorridor entlang, bis ich schließlich über die Küche zum Saal zurückkehrte.
Ich drehte eine langsame Runde durch den Hauptsaal und hielt nach meinem helläugigen Bewunderer Ausschau. Die meisten Anwesenden wuselten umher, unterhielten sich in eng beisammenstehenden Gruppen oder veranstalteten an der Bar betrunkenen Radau. Am schlimmsten gebärdeten sich die Mitglieder des Korps; immerhin war es eine Nacht zu Ehren eines toten Luftschiffs. Sie waren nervös und kämpften mit Alkohol und Liedern dagegen an. Ich konnte es nachvollziehen. Ich hatte selbst einige Zeit damit verbracht, mich in Alkohol zu verlieren. In Liedern weniger, aber das war für alle besser gewesen.
Von dem Unbekannten fehlte jede Spur. Nirgendwo im Raum hielt sich jemand mit der Uniform eines Schöpfers auf. Mir kam der Gedanke, er könnte die Kluft abgelegt haben, deshalb achtete ich aufmerksam auf die Augen der Anwesenden. Was beinah zu einigen Kämpfen führte. Immer noch entdeckte ich ihn nicht, und allmählich neigte sich die Nacht dem Ende zu. Betrunkene torkelten zu ihren Zimmern los, und Bedienstete eilten umher, um Rückstände der Feier zu beseitigen.
»Ratsmitglied Burn, nicht wahr?«, fragte eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um. An der Wand stand ein Mann mit einem Glas Whiskey in der Hand. Das Eis im Glas war geschmolzen und hatte sich abgesondert. Unten befand sich die dünne bernsteinfarbene Schicht des Alkohols, oben das Wasser. Der Anzug des Mannes war tadellos geschneidert – durchgehend schwarz, mit Samtmanschetten und auf Hochglanz polierten Silberknöpfen. Es war eine zivile Aufmachung, aber aus seiner Haltung sprach militärische Präzision. Der Schädel über den dunklen Augen präsentierte sich kahl. Als er lächelte, schwang darin keine Gefühlsregung mit. Es war, als beobachte man, wie eine Marionette grinste.
»Das bin ich nicht«, entgegnete ich. »Obwohl mein Vater diesen Titel innehat. Und Sie sind?«
»Verzeihung, Sir.« Er neigte den Kopf und streckte mir eine Hand entgegen. Die Finger steckten in dünnen Lederhandschuhen, weich wie die Wange einer Frau. Wir schüttelten einander die Hand. Sein Griff erwies
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