Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
aber er kannte mich. Wir grinsten einander zu, als ich hineinging. Calvin war nicht wach, jedenfalls nicht, bevor ich begann, an seine Tür zu hämmern. Schließlich öffnete er in einem Frack und wenig sonst.
»Du siehst beschissen aus«, brummte er.
»Du siehst wie ein Fähnrich aus, der die ganze Nacht lang Schafe gefickt hat. Lass mich rein, Cal.«
Wir kannten uns schon lange. Hatten zusammen die Akademie besucht. Waren zusammen aus völlig verschiedenen Gründen rausgeworfen worden. Ich glaube, auf einer karmischen Ebene gab Cal mir die Schuld daran, kein Pilot geworden zu sein. Er hatte sich mit einem Schreibtischposten abgefunden, ich mich mit einem Leben als Verbrecher. Gelegentlich regte sich in uns beiden Neid, trotzdem kamen wir gut miteinander aus.
»Na schön«, sagte er und ließ mich herein. In seinem Zimmer herrschte Chaos, aber außerhalb der Mauern des Forts fanden nur selten Inspektionen statt. Ich setzte mich auf einen Teil eines Stuhls, während er eine kleine Reibungslampe entzündete und eine fast leere Flasche Rum ausgrub.
»Was nagt um diese Uhrzeit an Jacob Burn? Oder ist das ein Freundschaftsbesuch?«, fragte er und hielt die Flasche in meine Richtung. Ich schüttelte den Kopf.
»Was machst du neuerdings so, Cal?«
»Schulden«, antwortete er lächelnd. »Und Unzucht mit Dirnen. Wenn auch nicht so oft, wie ich gern möchte.«
»Ich meine beruflich. Als wir zuletzt über die Arbeit geredet haben, hast du die Bedarfsanforderungen für den Einsatz unterhalb der Wasserfälle beaufsichtigt.«
»Also doch kein Freundschaftsbesuch«, meinte er und wurde dabei ein wenig mürrisch. »Du kommst überhaupt nicht mehr her, um einfach nur so zu plaudern.«
»Das liegt daran, dass ich dich nicht mehr liebe, Calvin. Ich habe inzwischen eine sehr erfüllende Beziehung mit einem Straßenschild. Könntest du dich jetzt einen Moment lang konzentrieren und mir zuhören? Was also machst du neuerdings?«
»Warum willst du das wissen?«, fragte er.
»Ich muss etwas über jemanden herausfinden. Einen Marineinfanteristen namens Wellons. Ich muss seinen letzten Einsatz in Erfahrung bringen, vielleicht seinen derzeitigen Aufenthaltsort.«
»Das ist nicht viel an Ausgangsinformation. Aber« – er stand auf, trank die Flasche leer, warf sie auf sein Bett und begann, nach einer Hose zu suchen – »ich weiß, wo ich nachsehen kann. Was weißt du noch über ihn?«
Ich holte den Ausweis hervor. Cal betrachtete ihn und runzelte die Stirn, dann schlüpfte er gedankenverloren mit einer Hand in seine Hose, während er sich mit der anderen den Ausweis vors Gesicht hielt.
»Das sollte wohl alles sagen, oder? Woher hast du diesen Ausweis, wenn du nach ihm suchst? Was hat er gemacht, ihn verloren?«
»Ihn zurückgelassen«, erwiderte ich. »Im Haus eines Mädchens. Und jetzt möchte der Vater ein Wörtchen mit ihm reden. Du verstehst schon.«
»Oh, in dem Fall kann ich dir nicht helfen, Jacob. Ich muss meine Brüder im Geiste vor den wütenden Vätern dieser Welt beschützen.«
»Zieh einfach deine Hose an, Cal. Kannst du mir helfen, ihn zu finden?«
»Wenn er im aktiven Dienst ist, klar. Ich bin jetzt in der Registratur. Unterschreibe Schecks, führe Buch.«
»Kennst du einen Kerl namens Prescott?«
»Der ist ein Arschloch.«
»Tja.« Unbehaglich sah ich mich im Zimmer um. »So übel kann er nicht gewesen sein.«
»Sagst du. Komm mit.«
Wir gingen durch den Flur hinaus und ein Stück die Straße entlang. Das Registraturbüro war ein kleiner Ziegelbau mit ungleichmäßigen Mauern und winzigen Fenstern. Alle schienen überrascht zu sein, Calvin schon so früh zu sehen. Wir begaben uns in sein beengtes Büro und zwängten uns um den Schreibtisch, wo er Wirtschaftsbücher durchblätterte und mit nervös gerunzelter Stirn Bilanzen überflog. Schließlich zog er einen Stapel loser Einsatzdienstpläne heraus und begann, sie durchzugehen.
»Weißt du, Jacob, ich finde es äußerst merkwürdig, dass du so etwas machst. Ist sie eine Freundin von dir?«
»Wer?«
»Das Mädchen. Wellons’ Schätzchen.«
»Oh. Nein. Ich meine, ihr Vater und mein Vater sind befreundet. Wie auch immer. Es ist nur ein Auftrag.«
»Du wirst also dafür bezahlt? Gut. Dann fühle ich mich nicht so schäbig.«
»Weswegen?«
Er zuckte mit den Schultern und ließ den Blick durch den Raum wandern. »Egal. Ich hätte bloß nicht geglaubt, dass du der Typ bist, der vermisste Liebhaber aufstöbert und dergleichen. Ich dachte immer, du
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