Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
Stimmen und Bewegung. Die meisten Mitglieder des Korps befanden sich dort. Sie standen an einer hastig errichteten Barrikade, die den Trakt abriegelte, in dem sich mein ehemaliges Zimmer befand. Die Männer waren unterschiedlich gekleidet und bewaffnet, Betrunkene in Pyjamas mit Jagdflinten und Krocketschlägern. Als sie mich erblickten, bildeten mehrere von ihnen eine Schützenlinie. Was sich oben befand und herabkam, konnten sie nicht sehen.
Flüchtig bemerkte ich mehrere Ratsmitglieder, die mit steinernen, verängstigten Mienen in der Nähe standen. Angela befand sich unter ihnen, immer noch in ihrem aufwendigen Kleid. Ihre Knöchel traten weiß um den Lauf einer Schrotflinte hervor. Sie sah mich an und erbleichte. Die Korpsmitglieder näherten sich.
»Was hast du heraufbeschworen, Jacob Burn?«, brüllte Lady Tomb mit schriller Stimme. »Welche Finsternis ist dir in mein Haus gefolgt?«
Ich warf erst einen Blick auf die Männer des Korps und ihre Gewehre, dann einen nach oben zum Engel. Mittlerweile war er fast durch die Öffnung und spreizte die Schwingen, um herabzuschweben. Ich konnte weder sein Gesicht noch seinen Körper erkennen, nur die wirbelnde Masse seiner Flügel. Ich sprang los, prallte gegen die Balkontür und rollte mich draußen ab. Meine Knochen brüllten vor Schmerz. Vielleicht brüllte auch ich.
Mein Blick blieb nach oben gerichtet, doch es regnete zu heftig. Ich konnte nichts sehen, nicht einmal das Dach. Ich taumelte über den Balkon, bis meine Hand gegen den rauen Stein des Geländers stieß, dann kauerte ich mich hin und tastete mich daran entlang. Vorerst wollte ich nur vom Haupthaus weg. Was immer das Ding sein mochte, das mich jagte, ich wollte mich ihm lieber allein stellen, als mir auch noch darüber Sorgen machen zu müssen, womöglich von einem besoffenen Korpsmitglied eine Kugel in den Rücken zu bekommen.
Ich drehte mich um und schaute zum Haus. Die Glasfenster wirkten wie ein trübes Aquarium, in dem sich verschwommene Schemen durch die Helligkeit im Hause Tomb bewegten. Während ich hinsah, fiel von der Decke eine Gestalt, die größer wurde, als sie in den großen Saal herabschwebte. Der Engel. Der Sturm verschlang jegliche Geräusche, aber im Haus zuckten mehrere Blitze auf – Schüsse –, und in den Scheiben erschienen winzige Risse. Ich rappelte mich auf und rannte los, fand die Treppe zum nächstniedrigen Balkon. Sie war schmal und wurde von einem kleinen Tor vom Balkon getrennt. Ich schwang mich mit einer Fechterflanke darüber und preschte klappernd die Stufen hinab. Vielleicht würden die Männer des Korps und ihre Gewehre mit dem Engel zurechtkommen. Vielleicht auch nicht, aber wenigstens würden sie mir etwas Zeit erkaufen.
Das Fenster in der Mitte zerbarst nach außen. Glitzernde Scherben und Licht ergossen sich auf den Balkon. Eine dunkle Gestalt huschte heraus und verschwand in den Schatten. Dann tauchte eine Linie von Korpsmitgliedern auf, die vor Gewehren strotzte. Die Männer begannen, Möbel und Deckenfluter vor den neuen Eingang des Landsitzes zu zerren und leuchteten in das Unwetter.
Ich blieb in Bewegung. Die Treppe erwies sich als klapprig, eindeutig nicht dafür geeignet, sie bei Regen hinabzurennen. Unter mir fiel das Gelände ab, und mich beschlich das Gefühl, dass ich mich zwischen Terrassen bewegte. Ich verlor das Gebäude aus den Augen, konnte jedoch Stimmen hören, die durch die Dunkelheit brüllten. Sie hatten das Ding nicht erledigt, so viel stand fest. Es war immer noch hier draußen. Vor Nässe und Adrenalin durchlief mich ein Schauder.
Die Treppe führte zu einem kleinen Geländevorsprung mit einem Schuppen und steilen Stufen, die weiter in die Tiefe führten. Eine Art Wartungsbereich. Ich trat die Tür des Schuppens auf und ging hinein. Der Lagerschuppen eines Gärtners. Eine winzige Reibungslampe ging an, als ich die Tür öffnete, wodurch sich die Triebfeder zündete. Das Licht erhellte eine Wand voll Werkzeugen – Klingen, Schaufeln, Hakennägel. Ich löschte das Licht, ergriff einen Hammer und ging zurück nach draußen. Ich hatte gerade den Weg die nächsten Stufen hinunter angetreten, als die Kreatur landete und den Geländevorsprung erbeben ließ. Mit dem Hammer in der Hand erstarrte ich. Ohne mich anzusehen, raste der Engel auf den Schuppen zu und riss ihn in Stücke. Ich nützte den Lärm, um die Stufen hinunterzurasen, und fiel unterwegs. Ich landete in dem weitläufigen Garten, den ich in dieser Nacht schon einmal besucht
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