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Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Akers
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hier.«
    »Was?«
    »Dein Artefakt. Drittes Regal an der Wand. Eine Elfenbeinschatulle. Sie haben etwas Heiliges daraus gemacht, diese Kirchenleute. Wo der Schlüssel versteckt ist, weiß ich nicht.«
    Ich richtete mich auf. Wilson war bereits aus der Grube hinaufgestiegen und durchsuchte den Bereich, den Tomb genannt hatte. »Warum verraten Sie mir das, wenn es all die Zeit versteckt war? Was würde Angela dazu sagen?«
    »Angela ist wesentlich weiter gegangen, als ich für vernünftig halte. Und ich bin müde. Geh jetzt.«
    Damit sank er zurück, und die Züge des Gesichts entspannten sich langsam zu friedlicher Teilnahmslosigkeit. Ich eilte die Stufen hinauf. Als ich zurückschaute, war das Gesicht noch geöffnet, und die glänzenden grünen Augen starrten mit ihren Pupillen aus aufgedunsenem Fleisch in die Dunkelheit empor.
    Wilson brachte mir die Schatulle. Wir kauerten uns auf dem Fußweg hin. Es war ein langes, schmales Behältnis. Die Seiten bestanden aus dünnen Elfenbeinlagen mit matten Silberbeschlägen. Es war ein Kinderspiel, die Schatulle mit meinem Messer aufzubrechen. Das Artefakt fiel polternd heraus. Ich hockte mich darüber, untersuchte es auf Schäden. Ringsum herrschte Stille.
    Das Artefakt erwies sich als Zylinder aus Stahl mit Rillen. In mir zuckte etwas wie eine gestohlene Erinnerung, die sengend durch meinen Kopf schoss. Ohne nachzudenken, fuhr ich mit der Hand über das Artefakt, löste einen verborgenen Mechanismus aus und balancierte es auf einem Ende. Der Zylinder erblühte wie eine Blume.
    Da waren Drähte, ein Schwungrad und eine mit übereinandergestapelten Metallsegmenten vollgepackte Mittelachse. Das Ding setzte sich in Bewegung. Aus dem Kern im Zentrum entfalteten sich Platten, gestützt und gelenkt von den Drähten, die sich versteiften, als sie sich spannten. Die Platten drehten sich in immer weiteren Kreisen, verlagerten sich, glitten aneinander vorbei, bis sie zu einem einzigen strahlenden Anblick verschwammen. Von oben betrachtet ergab sich daraus ein Bild, wie bei einem Cineskop.
    Es war eine Karte. Der Großteil davon sagte mir nichts – nur Linien, Flüsse und eine Küste links oben. Dann erblickte ich Veridon – oder eigentlich die Stelle, wo sich Veridon befinden sollte – in der Nähe eines Rands der Karte zwischen dem Ebd und der Dunje. Von dort fand ich den Reine, den Bruchwall, das Spitzmeer, den Kleinen und Großen Tavis, die Salzweiten. Die Karte unterschied sich von jener, die ich kannte – jener, die ich in der Akademie gelernt hatte –, aber einige Orientierungspunkte sahen sich recht ähnlich. Ich folgte dem Reine von dort, wo er das Spitzmeer verließ, weit über die Grenzen der Karten der Akademie hinaus.
    Dort lag eine Stadt – eine gewaltige, wenn man dem Maßstab glauben durfte. Sie befand sich in der Mitte der Karte und erstreckte sich auf beiden Seiten des Reines, Hunderte Meilen flussabwärts vom Spitzmeer. So weit jenseits des umfangreichen Kenntnisbereichs des Expeditionskorps der Akademie, dass ich nur völlig verblüfft hinstarren konnte. Ich hatte das Gefühl, als befände sich jemand über meiner Schulter, eine zugleich uralte und junge Gegenwart, eine Gegenwart, die nach Furcht und Isolation stank. Während ich die Stadt betrachtete, sprach das Phantom in mir mit meiner Stimme.
    »Heimat«, sagten wir.
    »Tja«, murmelte Wilson. »Tja, tja. Also wenn das nicht interessant ist.« Er schlang einen Arm unter meine Schulter und zerrte mich auf die Beine. Mir wurde klar, dass ich gelegen hatte. Er lehnte mich gegen ein Regal, das von den verstreuten Teilen einer zerbrochenen Uhr übersät war.
    »Wir müssen hier weg«, sagte ich. Meine Kehle fühlte sich an, als wäre sie mit Stacheldraht ausgekleidet.
    »Dürfte verdammt schwierig werden«, meinte Wilson. »Da draußen sind jede Menge Leute. Und ich glaube kaum, dass Angela uns mit diesem Ding davonschlendern lässt.«
    »Ja.« Ich überprüfte die Tragkraft meiner Beine und stellte fest, dass ich stehen konnte. »Vielleicht gibt es von hier einen anderen Weg nach draußen.«
    Patriarch Tomb rührte sich. Seine Lider öffneten sich einen Spalt. »Gibt es.«
    »Können Sie uns rausschaffen?«, fragte Wilson.
    »Nein. Aber ich kann euch den Weg zeigen.« Er verstummte kurz, und seine Lider weiteten sich vor Überraschung. »Oben ist etwas, eine Gegenwart. Sie hat den Gang gefunden.«
    »Was?«, hakte ich nach.
    »Etwas … Strahlendes. Was ist dieses Ding?« Tombs Stimme klang leise und

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