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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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noch über seinen verrückten Vorschlag zu befinden haben.« Zinnober seufzte. »Nun denn, es bleibt nichts, als aus dem Sand, den wir haben, Zement zu machen. Sagt mir alles, damit ich entscheiden kann, wie wir sterben sollen.«

    Salpeter war zwar der jüngere Bruder von Sulphur, dem ältesten Mönch des Tempels, aber auch er war alles andere als jung. Er hatte, dachte Chert, Ähnlichkeit mit den getrockneten Fröschen, die man manchmal in Hohlräumen von Metamorphosegestein fand. Geistig schien Bruder Salpeter jedoch hellwach, und seine Bewegungen waren, wenn auch nicht gerade anmutig, so doch immerhin zielsicher. Das war wichtig, da er für eine Arbeit verantwortlich war, die Dutzende Funderlinge töten konnte, wenn dabei etwas schieflief.
    »Das verstehe ich nicht, Junge«, sagte Salpeter — das erste Mal seit ewigen Zeiten, dass Chert so genannt wurde. Der Mönch trug einen Augenschutz aus dickem Glimmerkristall — seine Augen dahinter wirkten so groß wie Silberstücke. »Wozu wollt Ihr noch mehr Sprengpulver?« Er deutete auf den Raum hinter sich, wo mindestens ein Dutzend Tempelbrüder schwer beschäftigt waren. »Ich lasse meine Arbeiter schon so viel wie irgend möglich für Sprengkörper herstellen ...«
    »Aber wir brauchen noch mehr.«
    »Wie viel?«, fragte Salpeter.
    Chert hatte Berechnungen angestellt, traute ihnen aber nur sehr partiell. Das Problem war, dass Sprengpulver noch nie auf diese Art benutzt worden war, also war schwer abzuschätzen, wie viel man brauchte. Chert hätte sich gern bei Chaven Rat geholt. Der Arzt wusste viel über alle möglichen Dinge, war aber derzeit schwer zu finden. Chert ging davon aus, dass er Hauptmann Vansen half.
    »Nun, Blauquarz? Ich habe nämlich zu tun.« Salpeter und die Tempelbrüder in seinen Diensten versahen die gefährliche Aufgabe, das Sprengpulver in vorsichtig bemessenen Portionen herzustellen, da die Lagerung riskant war — zu trocken, und ein Funke konnte das Pulver zur Explosion bringen, zu feucht, und die ganze Arbeit — die Gewinnung der Bestandteile und das Mischen des tödlichen schwarzen Pulvers — war vergeblich gewesen. Schon jetzt hatten die Funderlinge mit der Lagerung der für die Waffenherstellung benötigten Mengen Neuland betreten. Und sie würden noch weiter gehen.
    »Vielleicht ... zweihundert Fass?«
    Salpeters Augen hinter dem Augenschutz wurden so groß, dass seine Wimpern und Lider verschwanden.
»Zweihundert?
Sagtet Ihr ›zweihundert‹? Seid Ihr verrückt? Ich habe schon alle Mühe, halb so viel herzustellen — man kann diese Pulver nicht einfach schaufelweise zusammenschütten! Habt Ihr je eine von diesen Raketen gesehen, die die Großwüchsigen bei den Zosimia-Feiern in den Himmel schießen? Stellt Euch etwas, das ein paarhundert Mal so explosiv ist, in unseren geschlossenen Räumen hier unten vor ...«
    »Ja, ja, ich weiß.« Chert holte tief Luft, zog Zinnobers Schreiben hervor und hielt es so, dass der Astion-Abdruck gut sichtbar war. »Trotzdem brauche ich so viel wie möglich so schnell wie möglich.«
    »Lächerlich. Tut mir leid, Chert Blauquarz, aber das geht einfach nicht. Da müsste die Zunft mir noch zwei Dutzend Arbeiter schicken, allein für das Sieben der Pulver. Und von meinen eigenen Ersuchen her weiß ich, dass sie das nicht kann — keinen einzigen Mann können sie entbehren.«
    Chert saß eine ganze Weile schweigend da. Es war ohnehin eine bizarre Idee, eine Art letzter Verzweiflungsversuch. Er konnte nicht erwarten, dass Männer von der Pulverherstellung für die Kämpfe abgezogen wurden, schon gar nicht, wenn die Lage von Stunde zu Stunde verzweifelter wurde. Wie der Mönch gesagt hatte: Es gab einfach nicht genug Arbeitskräfte.
    »Eine Frage, Bruder Salpeter«, sagte Chert plötzlich. »Muss Sprengpulver unbedingt von Männern hergestellt werden ...?«

    »Ich fürchte diese Entscheidung«, sagte Zinnober Quecksilber. »Was wir auch tun, etwas geht unwiederbringlich verloren.«
    Bruder Nickel gab eine Mischung aus Schnauben und Grunzen von sich. Er war aus dem Tempel herbeigerufen worden, was ihm gar nicht gefallen hatte, aber die Entscheidungsfrage, um die es hier ging, gefiel ihm noch viel weniger. »Mir scheint doch«, sagte er jetzt, »dass wir Metamorphosebrüder bereits den unwiederbringlichen Verlust unserer Lebensweise und unserer Ruhe hinnehmen mussten und es klaglos getan haben.«
    »Bei den Alten der Erde, Nickel, Ihr habt nichts anderes getan als zu klagen!«, sagte Malachit Kupfer.

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