Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
können, und doch blieb ihr blasses Gesicht unter dem dunklen Haar so ausdruckslos wie eine Maske. »Später ist vielleicht nur noch Zeit zum Sterben«, sagte sie. »Aber dies ist nicht die Art, wie man Verwandte begrüßt, und nicht die Art, wie ich dich begrüßen möchte, mein Herz.« Und damit wandte sie sich ab und schritt ins Dunkel davon. Nach kurzem Zögern folgten ihr Barrick und Saqri.
    »Ich mach mich mal davon und sag meinen Leuten, dass es jetzt losgeht, ja?«, rief ihnen Rafe nach. »Ich sag ihnen, sie sollen ein paar Männer, die gern reden, in den Kriegsrat schicken.«
    Barrick wusste nicht, was sagen, und von den Qar schien es niemand für nötig zu halten, Rafe zu antworten.
    »Na gut«, sagte der Skimmer fröhlich. »Dann geh ich jetzt.«
    Sie waren unter der Burg — ja sogar noch unter Funderlingsstadt. Barrick hatte nicht geahnt, dass es unter der unterirdischen Stadt der Funderlinge irgendetwas anderes gab als Stein. Sie mussten ja jetzt auf dem Grund der Welt sein!
    Als Barrick auf Sitzkissen in Yasammez' Zelt saß, während Saqri und die Qar-Fürstin wieder in ihren intensiven, wortlosen Austausch versunken waren, fühlte er die gesamte Geschichte dieses Ortes oder zumindest so viel davon, wie den letzten Qar, die noch mit den Göttern auf Erden geweilt hatten, bekannt gewesen war. Er wusste, dass Kernios — der Erdvater — hier durch die Hand Krummlings, des schlauen Gottes, den die Menschen Kupilas nannten, sein Ende gefunden hatte. Er wusste, dass die Höhle, in der dieses Zelt inmitten des Qar-Lagers stand, einst den Namen »Glitzernde Wonnen« getragen und Immon, dem Torhüter, als Garten gedient hatte, wenn auch diese Version der Höhle nicht mehr sichtbar war (oder jedenfalls nur in sehr unregelmäßigen Abständen erschien).
    Saqri straffte sich. Sie war jetzt kriegerischer gekleidet, in eine weniger stachlige Version der Rüstung, die Yasammez trug. Bei ihr waren die cremefarbenen Panzerplatten mit verschiedenen Grau- und Blautönen abgesetzt. »Ich weiß nicht, warum du immer noch so vieles vor mir verbirgst«, sagte Saqri, und die Tatsache, dass Barrick es hörte, zeigte an, dass er es hören sollte.
    »Weil du noch nicht du selbst bist.« Yasammez' Ton war streng, doch dank seiner geschärften Wahrnehmung hörte Barrick darin auch etwas Unglückliches — fast schon Flehendes.
    »Dürfte ich erfahren, worum es geht?«, fragte er. »Vielleicht ist Fürstin Yasammez — der ich natürlich zutiefst dankbar dafür bin, dass sie mein Leben verschont hat — ja jetzt der Meinung, dass ich besser ein totes Exempel wäre als ein lebender Prinz. Aber ich bin hier, und Eure Feuerblume loht jetzt nun mal in meinen Adern —
meinen,
Fürstin. Also, bitte, redet mit mir, wenn Ihr meinen guten Willen zu würdigen wisst. Ich bin es allmählich leid, immer zu rätseln, was los ist.«
    Tatsächlich lächelte Saqri, wenn es auch vielleicht ein reines Höflichkeitslächeln war. »Warte noch einen Augenblick. Reden — und zwar hauptsächlich um deinetwillen, Barrick Eddon — ist genau das, was wir vorhaben ...«
    Noch während sie das sagte, kamen Qar in das große Zelt, so lautlos und wachsam wie Rotwild, wenn auch zum Teil um einiges bedrohlicher. In Runentücher gehüllte Elementargeister, deren Feuerschein trotzdem hervordrang, funkeläugige Trickster, Wandelbare, Steinkreisleute (von denen jeder der Zwillingsbruder des kleinen Harsar in Qul-na-Qar hätte sein können), Drags und Bergkorbols kamen grüppchenweise herein und verteilten sich entlang der Zeltwände. Ihnen folgte ein Kontingent Skimmer. Rafe war darunter, und er trug den Kasten aus dem Boot. Selbst im Schummerlicht des Zelts sah Barrick ein gutes Dutzend Dachlinge über den Rand des Kastens schauen wie Schiffspassagiere, die auf die nahende Küste blickten.
    Aber wo sind die Funderlinge?,
fragte er sich.
    »Hört?«, sagte hinter ihm eine laute, klare Stimme in ganz normalem Südmärkisch. Es war Aesi'uah, Yasammez' Obereremitin, aber ihre Herrin sah nicht einmal auf, als die Ratgeberin sprach. »Im Namen der Fürstin Yasammez heiße ich Euch Eure Waffen ablegen und Eure Fehden begraben — alle Friedfertigen sind in diesem Hause willkommen und sicher.« Die Worte fanden in Barricks Kopf ein vielfaches Echo: Es war eine längst vergessene, traditionelle Begrüßungsformel, ein Relikt aus kriegerischen Zeiten, die jetzt wiedergekehrt schienen.
    »Das Heer des Autarchen Sulepis steht vor den Mauern der Burg«, fuhr Aesi'uah fort.

Weitere Kostenlose Bücher