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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zuvor angespuckt und gesagt, böse Geister würden ihn zum Tor der Verdammnis hinabschleppen, damit Xergals Diener ihm die Haut abzögen. Das hatte Vos Vater gar nicht gefallen, und im Zuge seiner Missfallensäußerungen hatte er Vos Mutter das Genick gebrochen.
    Aber das hier, dachte Vo, waren nicht nur Worte: Das war die Sache selbst. Dort drinnen wachte bestimmt Yermun der Torhüter, mit seiner verkehrt herum getragenen Haut, wie es in den Geschichten hieß. Yermun, Xergals Bruder — »Immon«, Bruder des »Kernios« für die Nordländer —, hatte bei den Weißen Hunden eine Art Heldenstatus, denn so wie sie zeitlebens Gefangene eines fremden Landes waren, war er trotz all seiner Macht in Xergals Totenreich gefangen.
    Auf, Brüder im Höllenreich,
lautete das berühmte Kampflied der Weißen Hunde,
stürmt in den Kampf die Langsamsten hol der Himmel!
    In seiner sauberen neuen Kampfesrüstung, den Bart einigermaßen
auf
xixische Militärnorm gestutzt, ging Vo auf den dunklen Schlund zu. Der Schmerz in seinen Innereien setzte wieder ein, dieses Gefühl, als ob dreckige Klauen in ihm scharrten; es kostete ihn Mühe, geradeaus zu gehen und nicht zu taumeln wie ein Besoffener. Die Posten in ihrem Wachhaus vor dem großen Eingang in der Felsfront hielten ihn kurz auf, vielleicht weil sie etwas Seltsames in seinen Augen sahen, aber Zeru hatte ihm die Tageslosung gesagt, also ließen sie ihn passieren.
    Der Schmerz wurde noch stärker, als er durch den hohen Höhlengang trat.
    Ich bin verflucht. Ich habe meine Wette verloren. Ich bin zu den Hunden des Autarchen gegangen, weil ich dort tun konnte, was mir gefiel, aber das war mir nicht genug. Ich wollte mehr, also errang ich mir einen Sonderauftrag im unmittelbaren Dienst des Autarchen, und jetzt bringt dieses »Mehr« mich um. Ich habe mein Spiel verloren, und der Autarch hat wie immer gewonnen. Jemand anders wird den Lohn für meine harte Arbeit ernten, und ich werde verrecken wie ein bei lebendigem Leib ausgeweidetes
Tier.
    Er durfte nicht darüber nachdenken. Es verschlimmerte zwar die Pein in seinem Körper nicht, aber es quälte seinen Verstand, verbreitete einen grellroten Nebel in seinem Kopf, der ihn verwirrte, sodass er fürchtete, vom Weg abzukommen und sich irgendwo in der Tiefe zu verirren.
    Er entdeckte sie schließlich vom hochgelegenen Eingang jener Höhle aus, die die xixischen Soldaten »Xergals Zelt« nannten. Er wusste, dass es die Hure des Autarchen war, obwohl sie tief unter ihm auf dem Grund der Höhle stand, wusste es, als ob sie engste Vertraute wären, und wenn er auch von hier aus kaum mehr als ihr schwarzes Haar erkennen konnte, als sie, von zwei Soldaten flankiert, dort unten entlangging, sah er ihre Gestalt und ihre Haltung doch so genau vor sich wie ein Liebender. Ihre großen, dunklen Augen mussten jetzt halb geschlossen sein, ihr schmales Gesichts schwermütig, ihr Denken nach innen gekehrt, auf jene schweigsame Art, die selbst Vo beeindruckt hatte. Er hatte noch nie eine Frau getroffen, die so lange schweigen konnte, außer einer Hure, der ein früherer Freier die Zunge herausgeschnitten hatte.
    Er folgte eilig den Abwärtswindungen des knarrenden Bohlenstegs. Das Mädchen und seine Bewacher standen immer noch im Gewimmel des Höhlengrunds vor einer Wand mit mehreren Gangöffnungen, als das Etwas in Vos Leib seine Krallen gleichzeitig in Gedärme und Herz schlug. Vo wankte und rang nach Luft. Jetzt fühlte es sich an, als ob ein loderndes Feuer seine Bauchwand durchbrochen hätte und ihn ganz verschlänge. Für einen Moment schrumpfte die nächste Fackel am Weg zu einem Funken, und er konnte seine Lunge nicht füllen, doch dann, nachdem es kurz schwarz um ihn geworden war, merkte er, dass er zwar auf Händen und Knien lag, aber wieder atmen — und denken — konnte. Er stand auf und wankte weiter hinab, sah jedoch das Mädchen und die beiden Soldaten nicht mehr. Sie hatten sich für einen der Gänge entschieden.
    Als er auf dem Grund der Höhle ankam, hatte der Schmerz so weit nachgelassen, dass er sprechen konnte.
    »Wo? Wo geht's zum Quartier der hohen Offiziere?«, fragte er einen Fußsoldaten von den Nackten.
    Der Mann schien, wenn auch nicht Vo, so doch das Abzeichen der Weißen Hunde zu erkennen, denn er antwortete respektvoll: »Zum Offizierszelt — da lang.« Er zeigte zur einen Seite. »Das ist der schnellste Weg.«
    Vo ließ ihn gehen und eilte, noch immer wankend, zu der Gangöffnung hinüber. Er wusste, er hatte so gut wie

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