Das Herz
kampffähig, doch wenn sie den Palast unter Kanonenbeschuss und den Pfeilsalven der Wachtposten auf dem Dach einnehmen mussten, stand ihnen eine lange, schwierige Belagerung bevor — das Letzte, was Briony wollte. Aber sie hatte wohl keine andere Wahl.
»Wir müssen ihnen Gelegenheit geben, zu kapitulieren«, sagte Eneas leise.
»Nein. Hendon wird nur verhandeln, um Zeit zu schinden. Er ist ein Teufel. Wir müssen den Palast einnehmen. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Und ich sage, das werden wir nicht tun.« Eneas wurde etwas lauter. »Prinzessin, ich bezweifle nicht, dass Ihr diesen Tolly sehr gut kennt, aber ich kann nicht das Leben meiner Männer riskieren, ohne den Verteidigern die Chance zu lassen, sich zu ergeben. Ihr habt es doch selbst gesagt. Die Unschuldigen müssen geschont werden. Wenn Ihr Euch davor fürchtet, Tolly gegenüberzutreten, bleibt bei Helkis und den anderen.«
Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Ich habe keine Angst, ihm gegenüberzutreten, Eneas, aber wenn Ihr mit dem Hund verhandelt, der unser Königreich gestohlen hat, kann ich nicht versprechen, dass ich ihm nicht diese Klinge ins grinsende Gesicht stoße.«
»Unter meiner Verhandlungsflagge werdet Ihr nichts dergleichen tun«, sagte er barsch. »Mit Sicherheit nicht, Prinzessin.«
Sie biss die Zähne so fest zusammen, dass ihr Kiefer schmerzte. »Na schön. Ich werde mich im Hintergrund halten und ruhig bleiben. Bietet Eure Verhandlungen an.«
Zu ihrer Überraschung war derjenige, der mit einem weißen Betttuch als Unterhändlerflagge aus dem Portal des Palasts trat, Sisel, der Hierarch von Südmark. Der alte Mann war sichtlich gealtert, seit Briony ihn zuletzt gesehen hatte, sein Gesicht so schmal und eingefallen, dass Briony sich fragte, ob er krank gewesen war.
»Ich komme unter freiem Geleit«, sagte er im Näherkommen. »Prinz Eneas, nehme ich an? Ich habe Neuigkeiten für Euch.« Als sein Blick auf Briony fiel, weiteten sich seine Augen, aber er sagte nichts.
»Sprecht Ihr für Hendon, Eminenz?«, fragte der Prinz. »Ich stelle ihm Kapitulationsbedingungen. Er weiß ja sicher, dass er keine Chance hat. Das ist Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Briony. Sie ist hier, um den Thron ihrer Familie zurückzufordern.«
»Um ihn für meinen Vater zurückzufordern, der noch am Leben ist«, sagte sie so laut und deutlich, dass es jeder Lauscher auf der Burgmauer hören musste — besonders ein Lauscher namens Tolly.
»Bei den heiligen Brüdern, Ihr
seid
es, Prinzessin!« Sisel wirkte nicht nur überrascht, sondern erschrocken, als ob ihn allein die Tatsache, dass er dieses Kriegsjahr überlebt hatte, ins Unrecht setzte. »Nicht zu fassen ... Es wird eine große Freude für Euer Volk sein, zu erfahren, dass Ihr lebt ...!«
»Genug«, sagte sie. »Dafür ist später noch Zeit, Hierarch. Berichtet, was uns der Verräter Tolly zu sagen hat. Wird er sich ergeben und unnötiges Blutvergießen vermeiden?«
»Aber ... aber das ist es ja!«, sagte Sisel. »Er ist nicht hier!«
»Das Schwein!« Briony konnte ihre Wut und Enttäuschung kaum im Zaum halten. »Wo ist er hin?«
»Ich bin immer noch ein Mann der Kirche, was auch ansonsten geschehen ist«, entgegnete Sisel steif »Jede Beleidigung meines Amtes ist eine Beleidigung des Trigon selbst.«
»Verzeiht, Eminenz«, sagte Briony innerlich fluchend. »Bitte vergebt mir.«
Er nickte befriedigt. »Im Palast hat ihn seit gestern niemand mehr gesehen, Hoheit. Er könnte sich irgendwo versteckt halten oder sich verkleidet haben, in der Hoffnung, unbemerkt zu entkommen — derzeit leben viele Fremde und Flüchtlinge im Palast. Vielleicht ist er auch überhaupt nicht mehr in der Burg ...«
»Nicht mehr hier?«
Eneas hob die Hand. »Wer hat dann hier das Kommando, Eminenz? Welcher von Tollys Offizieren?«
»Konnetabel Hud ist vor einer knappen Stunde geflohen. Wahrscheinlich zur Südseite des inneren Zwingers, beim Sommerturm. Er hat Sturmleitern mitgenommen. Möglicherweise will er mit seinen Männern hinausklettern und in Funderlingsstadt zu Durstin Krey stoßen.«
Eneas schickte unverzüglich zwei Fünfzigschaften seiner Männer um den Palast herum, um Hud vielleicht noch an der Flucht zu hindern. Dann folgten er und Briony mit einer Handvoll Männer dem Hierarchen in den Palast, immer auf der Hut, für den Fall, dass der Statthalter des Trigonarchen sie doch in eine Falle locken sollte. Aber die Menge, die ihnen entgegenströmte, war echt: Höflinge und
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