Das Herz
Worte vielleicht errötet, ins Stottern geraten oder auch wütend geworden, aber die Eremitin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen; sie wartete, bis er geendet hatte. »Meine Herrin hat sich ihr ganzes langes Leben hindurch auf das hier vorbereitet — nicht zufällig nennen wir unseren Krieg mit Eurem Volk die Lange Niederlage. Aber jetzt hat sich etwas verändert. Sie ist nicht nur beunruhigt, sondern ...« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme, eine so vertraut menschliche Geste, dass Barrick für einen Augenblick die Wahrheit dessen sehen konnte, was man ihm über die gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Qar erzählt hatte. »... Meine Herrin ist verwirrt, Barrick Eddon. So etwas habe ich noch nie gefühlt, seit ich ihr diene, und auch wenn ich im Vergleich zu ihr jung bin, bin ich doch schon bei ihr, seit der Großvater Eures Vaters ein Kind war.«
»Verwirrt? Inwiefern? Und warum erzählt Ihr das mir statt Königin Saqri?«
»Weil ich nicht weiß, was es zu bedeuten hat — deshalb macht es mir Angst. Gerade jetzt, da Yasammez zielgerichteter und entschlossener denn je sein sollte, fühle ich ihre Gedanken umherflattern wie aufgeschreckte Vögel.«
»Hat sie Angst? Angst vor dem Ende?«
Aesi'uah lachte, ein irritierendes, hohles Geräusch. »Offenbar kann auch jemand, der die Feuerblume trägt, törichte Fragen stellen. Nein, sie hat weder Angst um sich noch um ihr Volk. All die Jahre hat sie sich auf diesen Tod vorbereitet.« Die Eremitin schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sich ihr Ausdruck kaum merklich verändert. »Was Saqri angeht — sie weiß Bescheid. Ihre und Yasammez' Gedanken sind verflochten wie zwei miteinander verwachsene Bäume. Wenn Saqri es beunruhigend findet, lässt sie sich nichts anmerken. Vielleicht hat sie ja recht. Vielleicht ist es falsch, an einer Macht wie Fürstin Yasammez zu zweifeln. Aber ich bin nicht so ruhig und weise.«
Barrick wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Auch mit der Feuerblume ging sein Verständnis der Qar kaum unter die Oberfläche. Sollte er die Zeit haben, würde er Jahre brauchen, um wirklich etwas über sie zu lernen. »Und was wollt Ihr von mir, getreue Dienerin Aesi'uah?«
»Das kann ich nicht sagen, Barrick Eddon: Ich glaube nicht, dass da im Moment irgendjemand etwas tun kann. Aber es erleichtert mich, wenn es noch jemand weiß.«
Und auch das war so menschlich, dass Barrick nur darüber staunen konnte, in welch seltsamer Welt er gelandet war.
»Ihr sagtet, da sei noch etwas.«
»Zwei Dinge in Wahrheit, etwas Kleines und etwas Größeres. Das erste ist eine Frage — habt Ihr Kayyin gesehen?«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Er ist ... ein Verwandter von Yasammez. Er war lange Zeit bei uns, während der ganzen Belagerung. Jetzt ist er weg. Yasammez und Saqri zeigen sich nicht beunruhigt, aber mir kommt es seltsam vor.«
»Da kann ich Euch nicht weiterhelfen, tut mir leid.« Er erinnerte sich jetzt schwach an den Mann, der oft in Yasammez' Nähe zu sehen gewesen war, eine Art Mischling, halb Qar, halb Mensch dem Aussehen nach, aber Barrick konnte sich nicht erinnern, je mit ihm gesprochen zu haben.
»Ah. Nun ja, vielleicht habe ich ja mit meiner anderen Frage mehr Glück. Wie gut kennt Ihr diesen Chaven Ulosian, den Ihr zu uns gebracht habt?«
Barricks Herzschlag beschleunigte sich, und er war sich sicher, dass die Eremitin fühlte, was in ihm vorging. »Warum? Ich habe ihn nicht hergebracht. Ich habe ihn dabei entdeckt, wie er am Rand unseres Lagers umherstreifte. Aber ich kenne ihn gut von früher. Er war der Hofarzt von Südmark.« Und Chaven war auch im Besitz einer seltsamen, Barrick wohlbekannten Statue, die er jetzt in einem herrenlosen Schlafsack mit sich herumtrug, weil Barricks Gefühl darauf drängte, das Objekt zu verstecken, aber davon erzählte er der Obereremitin nichts.
»Ich glaube, er ist mehr als nur ein Arzt. Wie in Euch spüre ich auch in ihm mehr als eine Präsenz.«
»Was heißt das?«
»Ihr tragt die Feuerblume in Euch. Ihr erscheint mir nicht nur als ein einziges Wesen, sondern als die Überlagerung mehrerer Wesen. Es ist schwer, das in Worte zu fassen.« Für einen Moment fiel sie in die lautlose Kommunikation zurück, und er empfing ein Bild seiner eigenen flimmernden, vielfach gebrochenen Natur, so wie Aesi'uah sie wahrnahm.
Genau so,
übermittelte sie ihm.
Der Arzt ist anders, aber doch mehr als ein einzelnes Wesen — oder vielleicht auch weniger.
Und dann erhaschte
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