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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»Kein Mantel mehr!«
    »Was kümmert es Euch?«, fragte Barrick. »Ihr und Eure Leute lebt in den schneebedeckten Bergen. Ihr werdet doch sicher froh sein, die Sonne wieder zu sehen.«
    Kaske schüttelte den Kopf. »Es ... es wird seltsam sein. Alles wird jetzt seltsam sein.«
    Barrick spreizte die Finger —
Geschichte von Jahren —
und sagte: »Ja, wird es.«
    Mein Liebster.
    Du bist da!
Barricks Herz, das sich zwei Tage lang angefühlt hatte wie etwas aus Kaskes Bergheimat, ein eisiger Stein unter kaltem, grauem Himmel, war jetzt plötzlich sonnendurchflutet.
Du bist wieder da! Oh, dem Buch sei Preis, du bist wieder da. Ich ... ich habe befürchtet ...
    Ich hatte auch Angst,
sagte sie. Die Gedanken, die Stimme, es waren ihre, o Wunder, tatsächlich ihre ... aber so schwach!
Die Feuerblumenfrauen — die Mütter und Großmütter, sie sind so majestätisch, so ... schön und schrecklich ...! Ich dachte, sie würden mich davonschwemmen wie ein gewaltiger Fluss ...
    So ging es mir auch! Ich hatte schreckliche Angst! Aber ich hatte Ynnirs Hilfe. Kennst du ihn?
    Ob ich ihn kenne? Er ist mein Sohn, mein Großvater, mein Gemahl,
sagte Qinnitan, immer noch etwas träumerisch und verwirrt.
Ich weiß, was Saqri wusste und was alle, die vor ihr waren, wussten ...!
    Ynnir hat mir geholfen. Ich glaube nicht, dass ich es sonst überlebt hätte. Wer hat dir geholfen?
    Du.
Er fühlte es wie eine Liebkosung.
Der Gedanke, dass wir wieder getrennt würden, wenn ich keine Möglichkeit fände, damit zu leben. Das habe ich lange genug ertragen, Barrick Eddon.
Ihre Gedanken veränderten sich ein wenig, nahmen jetzt einen amüsiert-staunenden Ton an.
Und du bist König Olins Sohn — natürlich! Und ich hatte die ganze Zeit keine Ahnung ...!
Als sie das sagte, sah er seinen Vater deutlich vor sich, aber es war ein anderer Olin, der, den Qinnitan gekannt hatte, ein gütiger, aufrechter, nicht vom Wahnsinn überschatteter Mann, dem das Leben eines jeden Unschuldigen mehr galt als sein eigenes.
    Erzähl mir von ihm,
sagte Barrick.
Bleib bei mir, so lange du kannst, und erzähl mir, was mir all die Jahre entgangen ist, als die Schatten zwischen meinen Vater und mich gefallen waren ...
    Als sie müde wurde und ihre Worte langsamer kamen, bat er sie aufzuhören, küsste sie mit Worten und Gedanken und ließ sie gehen. Erst als sie wieder in den Schlaf entglitten war und er sie nicht mehr fühlen konnte, ließ er sich von der Traurigkeit, die er so lange zurückgedämmt hatte, überfluten. Er betrachtete die Lagerstatt auf dem von zwei geduldigen Nachtrössern gezogenen Wagen, wo ihre kleine, schlanke Gestalt lag. Und wenn das nun immer alles wäre, was sie hatten? Ynnir und Saqri hatten jahrhundertelang so gelebt. Aber ein großer Trost war das nicht. Barrick bezweifelte, dass er so lange leben würde.
    Lange stand er schweigend da und blickte über die Hügel zurück. Das, was da in der Ferne glänzte, war die schiefe Wetterfahne auf dem zertrümmerten Dach des Wolfszahnturms; der Rest der Burg war von den dazwischenliegenden Hügeln verdeckt. Es war seltsam, auf sein altes Zuhause zurückzublicken. Als er das letzte Mal an einem solchen Ort gestanden hatte, hatte er sich gefragt, ob er es je wiedersehen würde, und diesmal war es auch nicht anders.
    Während er noch hinstarrte, fühlte er um sich herum etwas Seltsames, eine plötzliche Wärme, und es war, als ob die Luft in mehrere Richtungen gleichzeitig gesogen würde. Dann knackte es, als ob ein großer Ast bräche, und der Raum direkt vor Barricks Gesicht war von flatterndem Schwarz erfüllt. Ohne nachzudenken griff er zu und packte das dunkle Etwas. Es war gefiedert und fett und roch nach Aas.
    »Nicht wehtun!«, krächzte es. »Ist ein Vogel von wundersamsten Kräften, unsereins — ein Wünschelrabe! Verschont unsereins, und es erfüllt Euch die mannigfaltigsten Wünsche, Ihr werdet sehen!«
    Barrick starrte den Vogel verblüfft an. »Skurn? Bist du das?«
    Der Vogel stellte sein wildes Flügelschlagen ein und wandte ihm ein panisch glänzendes schwarzes Auge zu. »Mag sein. Mag aber auch nicht sein.«
    »Kennst du mich nicht mehr?«
    »Nun ja, Ihr seht aus wie dieser Barrick, dem unsereins so oft geholfen hat. Aber unsereins hat ganz schön viele gesehen, die ihm beinah so ähnlich waren, seit es durch jenes finstre Tor aus Stadt Schlaf gewirbelt wurde, unsereins ...«
    »Wo hast du gesteckt, Skurn? Du bist nie in Qul-na-Qar angekommen — ich habe dich nicht mehr gesehen, seit wir

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