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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und wartete kopfschüttelnd auf sie. »Wenn das ein Trick ist, Mädel, wirst du's bereuen.« Er zog einen knorrigen Wanderstab aus einer Sattelschlaufe und schwenkte ihn. »Die Wegelagerer, die mich ausrauben wollen, müssen sich die paar Kupferstücke in meinem Beutel sauer verdienen.«
    Qinnitan verstand nur teilweise, was er sagte. »Hilfe«, sagte sie wieder. »Bitte. Hunger.«
    Der Mann war nicht alt, aber auch nicht jung; in sein Gesicht hatten Sonne und Wind ein Netz von Falten gegraben. Nach kurzem Zögern griff er in seine Packtasche und zog einen Brotkanten hervor. »Hier«, sagte er. »Und möge Honnos Segen mit dir sein. Bist du auf dem Weg nach Dunekamp? Zu Fuß kommst du da heute nicht mehr hin.«
    Sie erfuhr nie, ob das ein Angebot war, sie mitzunehmen. Ein Knacken im Gebüsch schreckte den Priester auf, und er sah ein kleines Stück hinter ihr Daikonas Vo zwischen den Bäumen hervortreten, etwas Dunkles in der Hand.
    »Fluch über dich, Kind!«, sagte der Priester erschrocken und zornig. »Du hast mich hereingelegt ...!«
    Etwas traf ihn mit einem grässlichen Krack am Kopf, und er fiel vom Maulesel, neben den blutigen Stein, der ihm den Schädel zertrümmert hatte. Der Maulesel scheute und trabte dann davon. Qinnitan drehte sich nicht einmal nach Vo um, sondern rannte dem Tier hinterher, schwang sich unbeholfen auf seinen Rücken und presste das Gesicht auf den heißen, borstigen Hals, während sie die Flanken des Maulesels mit den Fersen bearbeitete.
    »Ich kriege dich, du kleines Luder ...!«, schrie Vo heiser auf Xixisch, was den Maulesel so erschreckte, dass er tatsächlich schneller lief. »Du entkommst mir nicht ...!«
    Qinnitan hieb mit den Fersen auf den Maulesel ein, trieb ihn an, bis sie schon fürchtete, er würde sie abwerfen. Ihr blieb nur, sich an seinen Hals zu klammem und zu beten.

    Die Tempelhunde des Prinzen folgten der Silberflussstraße, die sich nordnordostwärts durch ein halbes Dutzend Kertewaller Täler schlängelte und dann schließlich ins westliche Silverhalden führte. Die Straße kreuzte den Fluss mehrfach, manchmal über wacklige Brücken, die Eneas' Soldaten zuerst verstärken mussten, damit sie das Gewicht ihrer Wagen und schwerbepackten Kriegsrösser aushielten, aber die meiste Zeit lief sie am Ufer entlang. Der Fluss stand hoch vom Frühjahrsregen und rauschte und gurgelte lebhaft dahin, was ein angenehmer Kontrast zur drückenden Stille der einsamen Täler war: Allein schon die Geräusche des Wassers und der Anblick gewöhnlicher Frühlingsblumen hellten Brionys Stimmung auf, wenn auch ein Gutteil dieser Blumen in verlassenen kertischen Ortschaften wuchsen und immer wieder Stätten der Verwüstung wie unvernarbte Wunden vom Durchzug der Qar vor einem halben Jahr kündeten.
    Eines Morgens, ein halbes Tagzehnt nach dem Kampf gegen die Qar, wachte Briony nach unruhigem Schlaf früh auf. Im Eingang ihres Zelts sitzend beobachtete sie, wie das Lager ebenfalls erwachte. Sie vermisste den Gawa, das heiße Getränk, an das sie sich bei Effir dan-Mozan in Landers Port gewöhnt hatte. Der Holzrauchgeruch der morgendlichen Feuer erinnerte sie an den bitteren Röstgeschmack unter dem Honig und dem Rahm und das Gefühl, wenn der Gawa ihren Magen gewärmt hatte. Sie hatte seit Monaten keinen mehr getrunken: Hier auf der Landstraße gab es morgens sauren Wein oder Wasser aus dem Silberfluss, der wenigstens schnell genug floss, um sauber und frisch zu sein.
    Wenn ich das alles hier überlebe, sagte sie sich, werde ich jeden Morgen Gawa trinken, mit Rahm aus Dalerstroy und Heidehonig aus Settland. Und wenn mich jemand fragt, was das für eine seltsame Sitte ist, werde ich sagen: »Ach, das habe ich mir in meiner Zeit bei den Tuani angewöhnt ...«
    Eine jähe Erinnerung an Shaso fegte durch ihre morgendlichen Gedanken wie eine Sturmwolke, doch sie kam nicht dazu, sich näher damit zu befassen, weil sie plötzlich Stimmen und Aktivität bei Eneas' Zelt bemerkte, in das der Prinz erst vor kurzem und nach einigem Sträuben wieder gezogen war, als sie das Zelt eines der bei Klerborn gefallenen Offiziere geerbt hatte. Briony kannte inzwischen die Rhythmen der kleinen Armee an Marschtagen: Die Späher waren zurückgekehrt. Sie wusste nur nicht, warum ihre Rückkehr solche Unruhe ausgelöst hatte.
    »Prinzessin«, sagte Eneas, als sie hingegangen war. »Gut, dass Ihr kommt. Belett hat eine interessante Geschichte zu erzählen.«
    Belett, der kaum größer war als ein Junge und das dunkle

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