Das Hexen-Amulett (German Edition)
sehr, dass sie wieder in den Abgrund zurückzustürzen drohte, dem sie gerade erst entronnen war. Sie schloss die Augen, lehnte sich an das hohe Bettgestell und umklammerte das Siegel, als wollte sie es in der Faust zerquetschen.
Toby. Sir George. Die Katze. Scammell. Der Geruch von Blut. Bittere Galle stieg in ihr auf. Doch dann meldete sich jene Kraft zurück, die sie zum Handeln zwang. Sie raffte sich auf, zog den Läufer vom Bett, der die Kissen bedeckte, und warf ihn wie einen Schal über die bloßen Schultern. Erst jetzt gelang es ihr, wieder tief durchzuatmen und ihre Lage zu überdenken.
Das Zimmer war voller Blut. Scammells geharnischter Körper lag in grotesker Verrenkung vor dem Fenster, eine fleischige Hand ausgestreckt, als flehe sie um Mitleid. Mildred, deren Fell mit dunklem Blut verklebt war, wirkte winzig im Tod. Es war inzwischen taghell geworden. Durch die bleiverglaste Fensterscheibe sah Campion Wolken aufziehen, die ihr für die folgende Nacht Rettung versprochen hätten. James Wright, Toby, Lady Margaret. Sie alle schienen ihr jetzt unerreichbar fern zu sein. Die Zwänge ihres alten Lebens, das sie fast vergessen zu haben glaubte, nahmen wieder Besitz von ihr. Als Kind in Werlatton hatte sie den Zorn und die Strafen Gottes ertragen müssen, jetzt galt es, das nackte Leben zu retten. Sie schloss die Augen und versuchte, sich Trost zuzusprechen, als der Schlüssel im Schloss knirschte und sie aufschrecken ließ.
Sie riss die Augen auf und schlang den Schal enger um den Hals.
Ebenezer lächelte, die Arme ausgebreitet, als wollte er sie herzlich willkommen heißen. «Dorcas! Meine liebe Schwester!» Er schaute sich wie beiläufig in der Kammer um und wich mit dramatischer Gebärde zurück, als er den Toten am Boden liegen sah.
Hinter ihm tauchte Goodwife Baggerlie auf, drängte an ihm vorbei und starrte auf Samuel Scammells Leichnam. Sie holte tief Luft. «Mörderin! Mörderin!»
«Nein, nein! Meine Schwester!» Ebenezer bewegte sich zwei Schritte auf sie zu. «Nein, nein!»
Campion schüttelte den Kopf. Sie hockte vor dem Bett und wippte mit dem Oberkörper hin und her. «Geht weg! Geht weg!»
«Mörderin!», schrillte die Stimme der Haushälterin. «Sie hat ihn umgebracht!»
«Nein», murmelte Campion.
«Haltet Euch von ihr fern. Berührt sie nicht», übertönte eine andere Stimme das Kreischen, eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Sie öffnete die Augen, schaute sich benommen um und sah Treu-bis-in-den-Tod Hervey in der Tür stehen. Er hatte eine Hand erhoben und hielt mit der anderen eine Bibel an die schwarze Jacke gepresst.
«Dirne! Mörderin! Hexe!», zeterte die Haushälterin.
Ebenezer kniete neben Scammells Leichnam nieder. «Wie hätte sie es fertigbringen sollen, ihn zu töten? Sie ist doch noch ein Mädchen. Er dagegen war bewaffnet und geharnischt. Sie kann ihn unmöglich getötet haben!»
Goodwife Baggerlie zögerte, schien sich aber dann an das zu erinnern, was ihr in den Mund gelegt worden war. Sie trat vor, zeigte mit knochigem Finger auf Campion und raunte: «Sie ist eine Hexe. Ich sah, wie der Teufel sie aus Master Scammells Haus entführt hat. Der Leibhaftige, mit flammenden Haaren. Aus der Hölle emporgestiegen. Sie ist eine Hexe!»
«Nein!», protestierte Ebenezer.
«Ruhe!» Treu-bis-in-den-Tod Hervey kam näher. Er hatte sich in den vergangenen Monaten dem Studium der Dämonenlehre gewidmet, weil er sich damit endlich zu profilieren hoffte. Schon am Weihnachtsmorgen hatte er Ebenezer gegenüber die Vermutung geäußert, dass Dorcas Slythe eine Hexe sei, und in Aussicht gestellt, sie als solche zu überführen. Um der Wahrheit Genüge zu tun, hatte er hinzugefügt, dass er darin nur einer Anregung der Haushälterin folge, die diesen Verdacht schon seit langem hege. Er aber sei nun entschlossen, mit all seiner Kraft den Prinzen der Finsternis, der Dorcas’ Verbündeter war, zu bekämpfen. Er wollte sie, nach der er nach wie vor heimlich schmachtete, nun erniedrigen, demütigen und durch sie zu Ruhm gelangen. Er schaute sich in der Kammer um und rief, wie zuvor mit Ebenezer verabredet: «Ah! Eine Katze! Ihre Vertraute!»
Die Haushälterin schüttelte sich vor Entsetzen.
Treu-bis-in-den-Tod ging mit energischen Schritten auf Campion zu, blieb in der Mitte des Zimmers stehen und legte seine Bibel auf den Tisch. Sein spitzer Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er sagte: «Falls es noch eines Beweises bedarf, wird dieser denkbar einfach zu erbringen
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