Das Hexen-Amulett (German Edition)
zeugen? Willst du nicht Stammvater eines Volkes sein, das dereinst die Welt beherrscht?»
Scammell leckte sich die Lippen und sah finster drein.
Ebenezer legte ihm scheinbar wohlwollend die Hand an den Kragen seines Lederwamses. «Wenn sie deine Frau ist, Bruder, gehört das Siegel dir. Willst du es nicht haben? Das Luder hat deine Werft in Schutt und Asche gelegt. Du könntest dich an ihrem Geld schadlos halten. Los! Nimm sie dir!» Er zerrte an seinem Kragen. «Beweg dich!»
Ursache dafür, dass Scammell aufsprang, war weniger die Hand am Kragen als der harsche Befehl. Den eigenen Willen schien er abgelegt zu haben. Er hatte Angst vor Ebenezer und den Soldaten, die, von Sir Grenville geschickt, draußen vor der Tür warteten. Er richtete seinen Blick auf Campion, die vor dem Fenster kauerte.
Ebenezer versetzte ihm einen Stoß in den Rücken. «Nun mach endlich, Bruder. Nimm von deiner Braut Besitz. Und von dem Siegel. Was ich nicht alles für dich tue. Ich könnte das Siegel ja auch an mich nehmen, doch was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.»
Scammell hauchte unwillkürlich «Amen». Er atmete schwer. Angstschweiß trat ihm ins Gesicht. Von Ebenezer geführt, der ihn wieder beim Kragen gepackt hielt, tappte er schwerfällig und mit schepperndem Harnisch auf Campion zu.
Ebenezer spottete. «Du willst sie doch, Bruder, oder?»
«Bruder Slythe?» Scammell hatte zur Sprache zurückgefunden und wandte sich seinem Peiniger zu.
«Sieh hin, sieh hin!» Ebenezer holte mit dem rechten Bein aus und hielt sich an Scammells Kragen fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. «Sieh hin!» Er trat Campion ins Gesicht und zwang sie, die Arme zu heben, um sich zu schützen. Das Kleid öffnete sich und entblößte ihre nackten Brüste. «Schau sie dir an. Willst du sie nicht?»
Campion raffte ihr Kleid und duckte sich in der Ecke des Erkers, musste aber einen weiteren Fußtritt erleiden. Sie schrie auf, versuchte, mit der einen Hand das Gesicht zu schützen, und hielt mit der anderen das zerrissene Kleid fest.
«Willst du sie denn nicht, Bruder? Sieh dir diese Brüste an! Fass sie an. Los, nimm sie in die Hand!» Ebenezer zwang Scammells Kopf nach unten. «Fass sie an!»
Scammell versuchte sich aufzurichten, doch Ebenezer hatte wieder den Dolch gezogen und drückte ihm die Spitze in den Nacken. «Fass sie an, Bruder!»
«Du bist von Sinnen.»
«Ich sagte, fass sie an!», brüllte er.
«Ja, ich fasse sie an.» Scammell streckte die rechte Hand aus und strich ihr über die Haare. Campion schrie, versuchte auszuweichen und hörte ihren Bruder hämisch lachen.
«Zu dumm nur, dass du nicht verheiratet bist, Bruder. Die Heiratsurkunde ist vor sechs Monaten verbrannt worden. Und jetzt ertappe ich dich dabei, wie du meine Schwester belästigst. Das überrascht mich, Bruder. Ja, ich bin schockiert. Ich hatte dich für einen Mann Gottes gehalten, aber offenbar bist du, wie ich jetzt sehe, ein geiler Wüstling und nichts weiter.»
Scammell wollte sich aufrichten und protestieren, doch ehe er dazu kam, spürte er schon den Dolch an der Kehle. Er versuchte, Ebenezer von sich zu stoßen und hob den Arm. Ebenezer aber lachte nur und rammte die Klinge noch tiefer. Blut spritzte umher, auf Campions Kleid, ans Fenster, über die polierten Holzdielen. Röchelnd schnappte Scammell nach Luft und sackte tot über Campions Leib zusammen.
Sie schrie. Das Gewicht des schlaffen, gepanzerten Körpers nahm ihr den Atem. Sie fürchtete, in dem Blut ertrinken zu müssen, das dem Sterbenden entströmte, ihr warm und zähflüssig übers Gesicht rann und den Blick trübte. Bevor sie die Besinnung verlor, dachte sie noch, dass dieser Schrecken nur ein Traum sein konnte.
Ebenezer schaute sie an. Er kannte seine Schwester und wusste, dass sie aus der Ohnmacht bald wieder erwachen und sich fassen würde. Aber nicht, solange der Leichnam auf ihr lag. Vornübergebeugt stemmte er sich gegen Scammells Körper und wälzte ihn zur Seite.
Dann wischte er penibel die Klinge sauber und steckte sie in die Scheide. Er spuckte sich in die Hände, um das Blut zu entfernen, vor dem er sich ekelte. Seine Schwester stöhnte leise.
Er trat an den Tisch heran. Sir Grenville würde, wie er wusste, das Siegel unverzüglich ausgehändigt bekommen wollen. Ebenezer hatte lange darüber nachgedacht, wie er ihn übervorteilen könnte. Doch er, Ebenezer, war noch zu jung und unerfahren in der Welt der Mächtigen, um die Unterstützung zu finden,
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