Das Hexen-Amulett (German Edition)
er wohl nicht gerechnet.»
«Hat er sich denn nicht erkundigt?»
Lopez lächelte matt. «Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht.» Sie ahnte, dass er vieles unerwähnt gelassen hatte. «Sagt mir, was Ihr wisst.»
Lopez seufzte. Er hatte befürchtet, dass sie ihm diese Fragen stellen würde. «Ich glaube, Kit hat immer gehofft, Euch zu sich nehmen zu können, aber es war nie die rechte Zeit dazu. Als der Bund beschlossen und die Siegel verteilt waren, machte er sich auf den Weg nach Schweden. Er kämpfte für die Schweden und wurde ein Vertrauter des Königs.»
Campion wusste, dass von Gustav Adolf die Rede war, dem großen Kriegsherrn, der das Schwert des protestantischen Glaubens bis tief in das Heilige Römische Reich der Katholiken getrieben hatte. «Als der König fiel, war Euer Vater an seiner Seite. Wenig später verließ er das schwedische Heer und kam zu mir nach Amsterdam. Ich erkannte ihn kaum wieder, Campion. In dem Krieg war irgendetwas mit ihm geschehen. Er hatte sich sehr verändert.»
«Inwiefern?»
«Ich weiß nicht.» Lopez zuckte mit den Achseln. «Er war Ende dreißig. Ich vermute, er glaubte, gescheitert zu sein und seine Hoffnungen auf eine große Zukunft begraben zu müssen. Ihr wart damals elf. Ich weiß, dass er vorhatte, Euch aufzusuchen, vielleicht sogar mit sich zu nehmen. Aber er sagte, womöglich wäret Ihr ein glückliches kleines Mädchen, das mit einem Mann wie ihm nichts zu schaffen haben wollte.» Lopez wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. «Ihr wart nicht sein einziges Kind, Campion. Er hatte außer Euch zwei Söhne, ein Zwillingspaar in Stockholm, ein kleines Mädchen in Venedig und ein hübsches Kind in Holland.»
«Hat er sie gesehen?», fragte sie mit flacher Stimme.
Er nickte. «Er war ja aus England verbannt und ist viel gereist.» Lopez schüttelte den Kopf. «Ich weiß, es klingt ein wenig lieblos, aber Ihr wart für ihn etwas ganz Besonderes, nämlich die Tochter seines ‹Engels›, der einzigen Frau, die er wirklich liebte. Ich glaube, nein, ich weiß, dass er sich geschämt hat. Er schämte sich dafür, dass Agatha im Kindbett sterben musste und dass er Euch im Stich gelassen hat. Und ich glaube, dass er Angst hatte, Euch zu sehen.»
«Angst?»
Lopez lächelte. «Ja. Was, wenn die Tochter von Kit Aretine und seinem Engel, das Kind dieser großen Liebe, eine Enttäuschung für ihn gewesen wäre? Was, wenn Ihr ihn verachtet hättet? Er wollte wohl den Schatz seiner Erinnerung an die vollkommene Frau und die vollkommene Liebe bewahren. Ich weiß es nicht besser, Campion.»
Campion hob das Siegel in die Höhe. «Glaubte er etwa, sein Geld könnte mir reichen?»
«Vielleicht.»
«Ich will es nicht!» Es schmerzte sie, von Kit Aretine im Stich gelassen worden zu sein. Sie erinnerte sich an die unglücklichen Jahre ihrer Kindheit, Jahre, die ihr erspart geblieben wären, wenn er sie zu sich genommen hätte. «Ich will es nicht», wiederholte sie und legte das Siegel auf den Tisch.
«Soll das heißen, Ihr wollt seine Liebe nicht?»
«Die habe ich nie erfahren.» Sie dachte an ihn, den stattlichsten Mann Europas, den Gelehrten, Schelm, Poeten, Liebhaber und Kämpfer, der seine Tochter engstirnigen Puritanern überlassen hatte, weil sie ihm selbst zur Last gefallen wäre. «Was ist aus ihm geworden?»
«Das letzte Mal habe ich ihn 1633 in Amsterdam getroffen. Er wollte sich niederlassen und wieder anfangen zu schreiben, allerdings keine Gedichte. Er hatte vor, in ein fernes Land zu ziehen, und wünschte sich, dass sein Name vergessen werde. Dort, in der Ferne, wollte er sich selbst ein Grabmal setzen, als Landmann von seiner Hände Arbeit leben, ein wenig schreiben und vielleicht sogar schließlich selbst Kinder großziehen. Er fuhr nach Maryland.» Lopez lächelte. «Ich habe mir sagen lassen, dass es dort tatsächlich einen Grabstein gibt, auf dem sein Name geschrieben steht, und kann mir vorstellen, dass er über jeden lacht, der ihn tot und begraben wähnt. Vielleicht ist er inzwischen tatsächlich gestorben, ich glaube allerdings, dass er noch lebt und eine Farm bestellt.»
«Hat er Euch nie geschrieben?»
«Kein Wort.» Lopez schien müde geworden zu sein. «Er wollte in Maryland allen Schmerz aus seiner Vergangenheit vergessen.»
«Und das Siegel?»
«Er hat es mit sich genommen.»
«Er könnte also noch leben.»
Lopez nickte. «Ja.» Lopez mochte Campion nicht belügen. Er hatte sie lieb gewonnen und sah in ihr die Kraft der toten Mutter
Weitere Kostenlose Bücher