Das Hexen-Amulett (German Edition)
weiterleben. Auch war ihr einiges von Kit Aretine eigen, seinem Freund, dem er versprochen hatte, niemandem Auskunft über ihn zu geben, nicht einmal seinen Kindern. Lopez sah sich an dieses Versprechen gebunden und darum verschwieg er, dass er sehr wohl Nachricht aus Maryland erhalten hatte. «Er hat aufgehört zu dichten, weil er zu großer Dichtkunst nicht fähig war. Vielleicht wollte er deshalb auch mit seiner Vergangenheit brechen, denn er hat wohl eingesehen, dass er dem Bild, das er von sich als Kit Aretine hatte, nicht gerecht werden konnte. Stellt ihn Euch als einen amerikanischen Farmer vor, der von dem ungewöhnlichen Leben, das er einst führte, nur noch träumt.»
«Und von den im Stich gelassenen Kindern?», setzte Campion zornig hinzu.
«Nicht, ohne seinem liebsten ein Vermögen zu hinterlassen.»
«Ich verzichte.» Sie war enttäuscht und wütend, stand auf und nahm das Lukas-Siegel zur Hand. Sie verabscheute das Ding und legte es mit entschiedener Geste neben Lopez auf den Tisch. «Ich will’s nicht haben.»
Der alte Mann sah sie vor den Kamin treten. Sie rückte den Schirm beiseite und stocherte so ungestüm in der sterbenden Glut, dass Funken sprühten. Sie legte den Schürhaken ab, wandte sich Lopez zu und fragte: «Erscheint der Mercurius auch in Maryland?»
«Ja, aber um Wochen verspätet.» Er hob das Siegel in die Höhe. «Fürs Erste bleibt Euch das von ihm.»
«Kann er mir nicht wenigstens einmal zu Hilfe kommen?»
Lopez ging auf die Frage nicht ein und sagte wie beiläufig: «Ich habe Freunde in London, Geschäftsleute, die es nicht stört, dass ich Jude bin. Vavasour hat sich mit einigen von ihnen in Verbindung gesetzt und erfahren, dass Lazen Castle nunmehr im Besitz von Grenville Cony ist.» Er schaute Campion in die Augen. «Ohne dass er einen Penny dafür bezahlt hätte.»
Campion war entsetzt. «Soll das heißen …»
Er nickte. «Sir Toby Lazender hat alles verloren. Alles. Er und seine Mutter sind auf Almosen angewiesen.»
Sie starrte auf das Siegel, das mit seinem Gold hell in der Dunkelheit des Zimmers schimmerte, und spürte, dass sie sich davon nicht trennen konnte. Toby zuliebe musste sie den Plänen von Christopher Aretine folgen. «Ich soll also die anderen herbeischaffen?»
Lopez lächelte. «Mit unserer Hilfe. Ich werde Vavasour damit beauftragen.»
«Euren Wolfshund.»
Lopez nickte. «Mein Wolfshund gegen einen Frosch namens Cony.»
Er hatte sie von ihrer Wut auf Kit Aretine abgelenkt und daran erinnert, dass sie Toby und seiner Mutter gegenüber verpflichtet war. Trotzdem konnte sie von ihrer Empörung nicht ablassen und fragte trotzig: «Wird mein Vater zurückkommen?»
«Das ist seine Sache. Und was würde es ändern? Ich helfe Euch, weil ich in seiner Schuld stehe.»
Campion hörte im Geiste Matthew Slythe sagen: «‹Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der da rächt der Völker Missetaten an den Kindern.›» Sie hatte für die Missetaten ihres Vaters zu sühnen und musste sein Erbe antreten. Die Liebe zu Toby ließ ihr keine andere Wahl. «Bewahrt das Siegel für mich auf», bat sie Lopez.
«Ich bewahre es seit sechzehn Jahren», erwiderte er. «Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an.»
Sie zog sich zurück, um schlafen zu gehen. Mordecai Lopez aber blieb noch lange wach. Er zog die schweren Vorhänge zurück und dachte an eine alte Liebe zwischen einem puritanischen Mädchen und einem Poeten, eine zum Scheitern verurteilte Liebe, die für kurze Zeit hell entbrannt war und ein Mädchen hervorgebracht hatte, das so strahlend schön war wie die Liebe selbst. Der Fluss drängte schäumend durch die Bögen der Brücke, und im Spiegel des Wassers tanzten die Lichter zahlloser Schiffslaternen. Lopez schätzte Kit Aretine als seinen teuersten Freund, konnte aber Campion nicht verdenken, was sie als Letztes, bevor sie zu Bett ging, in bitterem Tonfall sagte: «Der Bastard in meiner Familie bin nicht ich.» Lopez starrte auf den Nachthimmel im Westen und murmelte tieftraurig: «Mein Freund, mein Freund.»
25
London war in Aufruhr. Die Soldaten der Garnison durchsuchten die Stadt nach einer Hexe, die aus dem Tower entkommen und vermutlich längst entschwunden war, weshalb sich keiner wirklich Mühe gab, sie zu finden. In den Kirchen wurde der Herr im Himmel angefleht, sein Volk vor dem Teufel zu bewahren, während jede Leiche, die im Morgengrauen entdeckt wurde, jenem Dämon zugeschrieben wurde, der, wie man
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