Das Hexen-Amulett (German Edition)
Kornfelder und blinkten silbern in der Biegung des Baches fernab im Norden. Campion hielt das Siegel ins Morgenlicht.
Am Rand waren schmuckvolle Arabesken eingraviert. In der Mitte erkannte sie ein Beil mit breiter Klinge, daneben die spiegelbildlich angeordneten Buchstaben «St. Matt».
Das Siegel des Apostels Matthäus. Für ihn stand das Beil, von dem es hieß, dass damit dem Märtyrer der Kopf abgetrennt worden sei.
Sie betrachtete das schwere Goldstück in der offenen Hand, betastete es und fragte sich, ob in dem Tubus womöglich ein verborgener Mechanismus steckte wie in der Truhe. Da fiel ihr auf, dass er aus zwei Teilen bestand. Die Nahtstelle war von einer Perlenreihe geschickt kaschiert. Campion schraubte die beiden Teile auseinander.
Die untere Hälfte, die mit dem Siegel des Heiligen Matthäus, fiel ihr in die linke Hand. Die andere hob sie ans Licht. Und siehe da, das Schmuckstück an der langen goldenen Kette barg ein weiteres Geheimnis.
Im Hohlraum des Zylinders befand sich eine winzige Skulptur, kunstvoll aus Silber geschmiedet. Campion war schockiert, als sie erkannte, was dieses Bildwerk darstellte, nämlich ein Symbol von magischer Kraft, ein Symbol, das man sie zu verabscheuen gelehrt hatte. Vor allem auch ihrem Vater war es verhasst gewesen, und doch hatte er es in seinem Hause aufbewahrt. Campion starrte auf den Fund, der sie faszinierte und zugleich abstieß. Es war ein Kruzifix.
Ein silbernes Kruzifix in einem Gehäuse aus Gold, ein zu einem Schmuckstück verarbeitetes Siegel – der Schlüssel zu großem Reichtum. Sie warf wieder einen Blick auf den Brief, las noch einmal die dringliche Bitte an Matthew Slythe, das Siegel zu kennzeichnen. Sie hob es erneut ans Licht und entdeckte eine winzige Kratzspur in der Klinge des Beils. «Um der Gefahr einer möglichen Fälschung vorzubeugen», hatte der Verfasser des Briefes geschrieben. Wer aber war derjenige, dem ein Abdruck des Siegels zugesandt werden sollte? Wer waren Aretine und Lopez? Die Entdeckung des Siegels hatte neue Rätsel zutage gefördert, deren Lösung, wie Campion wusste, nicht in Werlatton zu finden war.
Wohl aber in London. Der Brief war von Grenville Cony signiert. Darunter stand der schlichte Hinweis «London».
London. Campion war noch nie in einer Stadt gewesen, geschweige denn in einer so großen. Sie wusste nicht einmal, welche Straße von Werlatton nach London führte.
Grenville Cony, wer immer er auch sein mochte, wohnte offenbar in London. Ebendort hielt sich auch Toby Lazender auf. Campion schaute auf den Nachttisch und sah den schweren Lederbeutel mit dem Goldschatz ihres Vaters. Damit war ihr der Weg geebnet. Sie schloss beide Hände um das Schmuckstück, starrte hinaus auf das lichtüberflutete Tal und verspürte eine zunehmende Erregung. Sie würde Reißaus nehmen, Ebenezer und Scammell, Goodwife Baggerlie und Werlatton entfliehen, so auch allen anderen, die sie bedrängten und aus ihr zu machen versuchten, was sie nicht sein wollte. Sie würde nach London fliehen.
Zweiter Teil
Das Siegel des Apostels Markus
6
Sir George Lazender, Tobys Vater, war ein Mann, der sich ständig Sorgen machte. Jedenfalls behaupteten das seine Freunde. Sie sagten, er nage selbst dann noch an Problemen, wenn längst kein Fleisch mehr am Knochen sei. Ende August des Jahres 1643 gab es für Sir George allerdings allen Grund zur Sorge.
Er hatte eines Morgens an den Privy Stairs ein Boot bestiegen, das ihn in die Stadt brachte. Im Schatten der St. Paul’s Kathedrale gab er sich seiner Leidenschaft für Bücher hin, war aber mit dem Herzen woanders.
«Sir George!», grüßte der Buchhändler, der im Krebsgang hinter seinem Stand hervorkam. «Ein schöner Tag, nicht wahr?»
Wie immer höflich, tippte Sir George mit der Hand an die Hutkrempe, um den Gruß zu erwidern. «Mr Bird. Ich hoffe, Ihr seid wohlauf.»
«Das bin ich, Sir, aber den Geschäften könnte es besser gehen, Sir George.»
Sir George griff nach einem Buch in der Auslage. Er mochte sich jetzt auf kein Gespräch über die neuen Steuergesetze einlassen, die das Parlament verabschiedet hatte und für die er als Mitglied des Unterhauses Mitverantwortung trug. Weil es ihm aber allzu unhöflich erschien, den Buchhändler zu ignorieren, deutete er mit winkender Hand auf den wolkenlosen Himmel und sagte: «Immerhin habt Ihr das Wetter auf Eurer Seite.»
«Ich danke Gott, dass es nicht regnet, Sir George.» Bird hatte darauf verzichten können, das Zeltdach über
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