Das Hexen-Amulett (German Edition)
seinen Stand zu spannen. «Schlechte Nachrichten aus Bristol, Sir George.»
«Ja.» Sir George öffnete das Buch und starrte auf die Seiten, ohne wirklich hinzuschauen. Noch weniger als eine Unterhaltung über die Geschäfte wünschte er, auf die kriegerischen Auseinandersetzungen einzugehen, denn dieser Krieg war seine Hauptsorge.
«Lasst Euch beim Lesen nicht stören, Sir George», sagte der Buchhändler entgegenkommend. «Das Exemplar, das Ihr in der Hand haltet, ist zwar ein wenig stockfleckig, aber immer noch gut und gern eine Krone wert.»
«Gewiss, gewiss», entgegnete Sir George zerstreut und bemerkte, dass er Haringtons Übersetzung von Orlando Furioso in der Hand hielt, ein Buch, das er selbst seit über zwanzig Jahren besaß. Gleichwohl vertiefte er sich darin und hoffte, den vielen Freunden und Bekannten, die wie er die Buchstände vor der Kathedrale aufzusuchen pflegten, nicht Rede und Antwort stehen zu müssen.
Der König hatte Bristol eingenommen, was vermuten ließ, dass sich womöglich das Blatt im Bürgerkrieg zugunsten der Royalisten wendete. Wenn Sir George jetzt das Lager wechselte, würden viele behaupten, er kehre dem Parlament aus Feigheit den Rücken, um sich der Siegerseite anzuschließen. Doch das entsprach nicht der Wahrheit.
Sir George wollte in der Tat die Seiten wechseln, was mit dem Fall von Bristol aber nichts zu tun hatte. Es gab dafür gewichtigere Gründe.
Der Krieg war im Jahr zuvor ausgebrochen. Damals hatte Sir George als loyaler Parlamentarier keinerlei Zweifel gehegt. Die illegale Besteuerung durch König Charles hatte ihn zutiefst empört, und dann war aus der Empörung persönlicher Groll erwachsen, als der König seine vermögenden Untertanen zu Darlehen zwang. Sir George wusste, dass es zu einer Zurückzahlung nie kommen würde, und er war einer der Männer, die von der Krone auf diese Weise beraubt wurden.
Der Streit zwischen König und Parlament hatte sich fast unmerklich zum Krieg ausgewachsen. Sir George unterstützte immer noch die Sache des Parlaments, denn es war seine Sache. Nach seiner Überzeugung sollten die Gesetze herrschen und kein Mensch über dem Recht stehen, nicht einmal der König von England. Darum hatte er der Rebellion zugestimmt, doch jetzt war er im Begriff, die Seiten zu wechseln – von der des Parlaments auf die Seite des Königs.
Er schlenderte auf einen der großen Strebepfeiler der mittelalterlichen Kathedrale zu und lehnte sich an den von der Sonne aufgewärmten Stein. Nicht er hatte sich verändert, sondern, so dachte er bei sich, die Sache selbst war eine andere geworden. Er hatte sich den Rebellen angeschlossen, weil er überzeugt gewesen war, dass sie einen politischen Kampf führten, einen Kampf über die Frage, wie das Land regiert werden sollte. Dieser Kampf aber hatte nun auf Seiten des Parlaments ein Heer von Plagegeistern freigesetzt, und diese Plagegeister nahmen die Gestalt religiöser Schwärmer an.
Sir George Lazender war Protestant und standfest in der Verteidigung seines Glaubens. Allerdings hatte er nichts übrig für die Anhänger der Fünften Monarchie, für die Anabaptisten, die Familisten, die Mortalisten oder all die anderen seltsamen Sekten, die wie Pilze aus dem Boden schossen und ihre jeweils eigenen Vorstellungen einer revolutionären Religion verbreiteten. London versank im Fanatismus. Vor zwei Tagen erst hatte Sir George miterleben müssen, wie auf offener Straße eine splitterfasernackte Frau sektiererische Predigten hielt, und das Verrückte war, dass die Zuhörer den Unsinn, den sie verkündete, ernst zu nehmen schienen. Für sich genommen mochte dieser religiöse Wahn ja noch harmlos sein, doch gesellten sich zu ihm geradezu unverschämte politische Forderungen.
Das Parlament behauptete, nur gegen die Berater des Königs Krieg zu führen, was, wie Sir George wusste, so nicht stimmte und nur dazu angetan war, die Revolte des Parlaments zu rechtfertigen. Es wollte den König auf seinen Thron in Whitehall zurückholen und ihn dann zwingen, mit Hilfe und Zustimmung des Parlaments über England zu herrschen. Natürlich würden größere Veränderungen nicht ausbleiben. Die Bischöfe müssten abtreten, und die Kirche von England würde in protestantischem Sinne reformiert werden. Sir George, der persönlich nichts gegen die Bischöfe einzuwenden hatte, war durchaus bereit, sie zu opfern, wenn denn am Ende ein König herrschte, der nicht Willkür, sondern Recht walten ließ. Sir George aber traute dem
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