Das Hexen-Amulett (German Edition)
an.»
Er lachte sie aus. Seine Schultern bebten. «Was Ihr nicht sagt. Das Siegel wird Eures, weil es schön ist. Das ist Frauensache: die Hervorbringung von Kindern und hübschem Zierrat. Weiter nichts. Habt Ihr überhaupt schon einmal ein Siegel zu Gesicht bekommen?»
«Nein, Sir.»
Er kicherte immer noch, winkte sie zu sich heran und sagte: «Kommt näher.»
Sie trat vor den Tisch, während Cony seine rechte Hand in die Westentasche zwängte. Das braune Tuch war über dem dicken Bauch so straff gespannt, dass es ihm kaum gelang, aus der Tasche herauszuholen, was er ihr zeigen wollte. Campion schaute über seine weißen, krausen Haare hinweg durchs Fenster nach draußen und sah, dass die Ruderknechte immer noch wie Ölgötzen und mit aufgestellten Rudern in der Barke saßen. Sie dachte an Toby, der in der Gasse wartete, und wünschte, er wäre bei ihr. Er würde sich bestimmt nicht von dem froschartigen Mann einschüchtern lassen, der ihr gegenüber mal aufgesetzt freundlich, mal offen ablehnend war.
«Da.» Der Advokat legte einen Gegenstand auf den Schreibtisch, der dem Siegel, das Toby in Verwahrung hatte, zum Verwechseln ähnlich war.
Campion nahm es zur Hand und wunderte sich wie schon bei seinem Gegenstück, das sie in der Truhe gefunden hatte, wie schwer es war. Auch dieses war mit einer Girlande aus kleinen Diamanten und Rubinen geschmückt und hing an einer Kette, die um den Hals getragen werden konnte. Sie hielt das Siegel ans Licht und sah die gleichen Verzierungen am Rand des stählernen Stempels, der, wie sie von Nahem erkannte, anstelle des Beils einen geflügelten Löwen als Zeichen hatte. In eingravierter Spiegelschrift stand zu lesen: «St. Mark.»
Wie beim Anblick des ersten Siegels vermittelte sich ihr auch jetzt wieder ein schauriges Gefühl. Sie dachte an den Brief, der die Siegel als Schlüssel zu unermesslichem Reichtum beschrieb, und die Macht dieser goldenen Zylinder erschien ihr nun, da sie den zweiten in der Hand hielt, sehr viel realer. Sie konnte jetzt verstehen, warum die Siegel so begehrt waren, und wusste, dass sie Cony zum Feind haben würde, solange sie im Besitz des Siegels ihres Vaters war. Sie hatte sich aus Liebe auf ein Abenteuer eingelassen und ahnte erst jetzt, in welche Gefahr sie sich brachte.
«Ihr solltet einmal nachsehen, was darin steckt», sagte Sir Grenville wie beiläufig.
Fast hätte sie sich narren lassen. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, dass der Zylinder aus zwei Teilen bestand, und beinahe wäre sie auf Conys listig vorgetragenen Hinweis hereingefallen. Doch sie durchschaute die Finte rechtzeitig und hütete sich, die beiden Hälften auseinanderzuschrauben. Stattdessen ließ sie das Schmuckstück an der Kette vor ihren Augen hin und her baumeln. «Sehr schön», bemerkte sie.
Sir Grenville sagte lange nichts. In seinen gräulichen Augen spiegelte sich das goldene Siegel. Die Lider gingen langsam auf und zu. «Ich sagte, Ihr solltet einmal nachschauen, was darin ist.»
Sie tat ahnungslos, versuchte, das Schmuckstück auseinanderzuziehen, hielt es ans Ohr und schüttelte es.
«Es lässt sich aufschrauben.» Er machte einen enttäuschten Eindruck.
Campion gab einen mädchenhaften, verwunderten Laut von sich, als es ihr gelungen war, den Zylinder zu öffnen. Anscheinend enthielt auch er ein Kruzifix, denn im Inneren entdeckte sie eine menschliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen.
Tatsächlich aber handelte es sich um ein magisches Symbol, das viel älter war als das Christentum und so alt wie die Menschheit selbst. Es war die Figur einer Frau mit schwarzem Kopf. Wie die Arme, so hatte sie auch die Beine seitlich von sich gestreckt. Die Hüfte war nach vorn geschoben, und obwohl winzig klein, vermittelte die Skulptur den Eindruck hemmungslosen Verlangens. Sir Grenville gluckste. «Abscheulich, nicht wahr?»
Vorsichtig schraubte Campion beide Hälften wieder zusammen und versteckte die nackte Gestalt. «Meinem Vater würde eine solche Darstellung sehr missfallen haben. Vielleicht hat er sein Siegel deshalb weggeworfen.»
Cony streckte seine bleiche, dralle Hand aus, um sich das Schmuckstück zurückgeben zu lassen, und lächelte. «Weggeworfen?»
«Wir haben danach gesucht, Sir. Überall. Doch es war nirgends zu finden.»
Er deutete auf den Stuhl. «Setzt Euch.»
Gehorsam nahm Campion wieder Platz. Sie war stolz darauf, dem kleinen, feisten Mann nicht auf den Leim gegangen zu sein und verraten zu haben, dass sich das väterliche Siegel
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