Das Hexen-Amulett (German Edition)
und es schien, als bohrte sich der Blick aus seinen fahlen, glubschenden Augen bis in die hintersten Nischen ihrer Seele. Sie hielt die Teeschale immer noch in den Händen und war sichtlich verstört, und das nicht nur über den Fleck auf ihrem neuen Umhang. Er hatte sich ihr gegenüber freundlich gezeigt und sie mit dem Angebot, Tee zu probieren, davon überzeugt, dass er guten Willens war. Nun aber erkannte sie, dass Sir Grenville auf dieses Gespräch sehr viel besser vorbereitet war als sie selbst. Er hatte seinen Sekretär im Vorhinein beauftragt, Tee zu servieren, und sie nun, da sie sich entspannt hatte, mit seinen Fragen überrumpelt. Mit zitternder Hand stellte sie die Teeschale auf dem Teppich ab. Sir Grenvilles Stimme klang barsch.
«Wisst Ihr, was es mit dem Siegel auf sich hat?»
«Ja.»
«Ja, Sir.»
«Erklärt es mir.»
Sie dachte schnell nach. Sie durfte nicht mehr verraten als das, was Isaac Blood am Tag der Testamentseröffnung hatte durchblicken lassen. Vorsichtig sagte sie: «Es beglaubigt die Unterzeichnung jeglicher Dokumente, die mit dem Bund zu tun haben, Sir.»
Cony lachte. «Sehr gut, Miss Slythe, sehr gut! Wo also ist das Siegel?»
«Ich weiß nicht, Sir.»
«Wie sieht es aus?»
«Ich weiß nicht, Sir.»
«Wirklich nicht?» Er steckte wieder eine Hand voll geballter Kuchenkrümel in den Mund, kaute und starrte sie dabei an. Sie fragte sich, ob er überhaupt schon einmal mit den Augen gezwinkert hatte, was er dann ausgerechnet in diesem Moment tat. Wie bei einem exotischen Tier wischten die Lider langsam über die hervorstehenden Augäpfel. Die Fettwülste unterm Kinn gerieten in Bewegung, als er den Kuchenhappen schluckte. «Ihr wisst also nicht, wie das Siegel aussieht, Miss Slythe. Und doch habt Ihr, als Ihr zum ersten Mal bei mir anklopftet, zu erklären gewusst, dass der Bund dem Apostel Matthäus gewidmet ist. Nicht wahr?»
Sie nickte. «Ja, Sir.»
«Und woher wisst Ihr das?»
«Von meinem Vater, Sir.»
«Ach, ja? Ist das so?» Die linke Hand krabbelte wieder über den Tisch. «Hattet Ihr ein gutes Verhältnis zu Eurem Vater?»
Sie zuckte mit den Achseln. «Ja, Sir.»
«Tatsächlich, Miss Slythe? Ein so gutes Verhältnis, dass er mit all seinen Sorgen und Problemen zu Euch gekommen ist? Dass er mit Euch über das Siegel des Apostels Matthäus gesprochen hat?»
«Ja, Sir. In Andeutungen.»
Er lachte und schien ihr nicht zu glauben. Plötzlich setzte er wieder eine andere Miene auf. Er beugte sich vor. «Ihr wollt also mehr über den Bund in Erfahrung bringen. Nun, Miss Slythe, dann will ich Euch aufklären.» Er schaute über ihren Kopf hinweg auf den nackten Narziss, während seine linke Hand, die ein eigenes Leben zu führen schien, in die Kuchenschale langte.
«Vor vielen Jahren habe ich mit Eurem Vater und einigen anderen Gentlemen Geschäfte gemacht. Worum es im Einzelnen ging, tut hier nichts zur Sache. Nur so viel sei gesagt: Wir waren sehr erfolgreich. Außerordentlich erfolgreich. Ja, ich wage zu behaupten, dass uns unser Erfolg geradezu überrascht hat. Es war meine Idee, die gemeinsam erzielten Gewinne so anzulegen, dass wir auf unsere alten Tage gut versorgt sein würden. Aus diesem Grund wurde der Bund ins Leben gerufen. Er sollte gewährleisten, dass keiner den anderen übervorteilen konnte, und in dieser Hinsicht hat er sich auch bewährt. Da wir nun alle, oder zumindest diejenigen, die noch leben, in fortgeschrittenem Alter sind, wollen wir die Früchte unseres Erfolgs genießen. Mehr ist zu diesem Thema nicht zu sagen, Miss Slythe.» Mit feierlicher Gebärde ließ er zum Abschluss seiner Erklärung einen weiteren Happen im Mund verschwinden.
Seinen Worten war nicht zu trauen, ebenso wenig wie denen ihres Vaters. Wieso hatte Matthew Slythe seinen Anteil am Gewinn nicht einfach unter seinen Kindern aufgeteilt, wenn der Bund nur ein geschäftliches Arrangement war? Außerdem erinnerte sich Campion an die Briefe der Schwiegereltern ihres Vaters, die ihm mangelnden Geschäftssinn angekreidet hatten. Sir Grenville Cony aber wollte sie nun glauben machen, ihr Vater hätte ihn und andere Londoner Geschäftsleute in ein unvorstellbar erfolgreiches Unternehmen eingespannt. Sie sah ihn an. «Was war das für ein Geschäft, Sir?»
«Das geht Euch nichts an, Miss Slythe, nicht das Geringste», erwiderte er so heftig, dass sie erschrak.
«Das Siegel geht in meinen Besitz über, wenn ich fünfundzwanzig Jahre alt bin. Die Sache geht mich also sehr wohl etwas
Weitere Kostenlose Bücher