Das Hexen-Amulett (German Edition)
Porzellanschale zu, in der sich Kuchenreste befanden. Seine Augen waren starr auf Campion gerichtet.
«Sprecht, meine Teure.»
Die Hand hatte die Schale erreicht und glitt über den Rand. Campion versuchte nachzudenken. «Der letzte Wille meines Vaters, Sir, erscheint mir rätselhaft …», sagte sie, immer leiser werdend, während ihre Nervosität mit jedem Herzschlag zunahm.
«Rätselhaft? Rätselhaft!» Für einen so kleinen, dicken Mann klang Conys Stimme überraschend harsch. «Das Testament ist Euch doch von einem Kollegen von mir vorgelesen worden, oder? Zugegeben, Isaac Blood ist bloß ein kleiner Anwalt vom Lande, aber für eine Testamentseröffnung wird es bei ihm doch wohl noch reichen.» Die Hand klaubte Krümel zusammen und formte sie zu einem Bällchen.
«Er hat das Testament verlesen, Sir.» Campion versuchte sich zu konzentrieren, doch der Anblick der Hand, die jetzt auf dem Rückzug war, lenkte sie ab.
«Das erleichtert mich, Miss Slythe. Für einen Moment glaubte ich, Ihr wolltet unserer Zunft ein schlechtes Zeugnis ausstellen, aber das scheint ja uns und dem guten Blood erspart zu bleiben. Was also ist Eurer Meinung nach so rätselhaft an diesem Testament? Ich fand den letzten Willen Eures Vaters ganz unmissverständlich, geradezu anrührend schlicht.» Wie um seinen Spott abzumildern, lächelte er wieder und warf dann ganz ungeniert das Krümelbällchen in den Mund.
Er lächelte immer noch und schien Genugtuung dabei zu empfinden, dass er sie mit Erfolg verunsichert hatte. Die geleerte Hand krabbelte wieder über den Tisch.
Campion zwang sich, ihrem Gegenüber in die Augen zu schauen. «Im Testament meines Vaters ist von einem Bund die Rede. Und von einem Siegel. Mr Blood konnte nichts Näheres dazu sagen.»
Er nickte, schluckte und lächelte wieder. «Und darum seid Ihr den weiten Weg hierhergekommen?»
«Ja, Sir.»
«Schön, schön.» Die Hand schwebte über der Schale. Er drehte sich um. «John! John!»
Die Tür wurde aufgeschlossen. Campion vermutete, dass Cony seinen Sekretär beauftragen würde, bestimmte Unterlagen zu holen, vielleicht sogar solche über den Bund, stattdessen aber brachte dieser zwei flache Schalen auf einem Tablett. Auf ein Handzeichen von Sir Grenville hin ging er damit zu Campion. Sie nahm eine der Schalen, deren dünne Porzellanwand so heiß war, dass sie sie nicht in der Hand halten konnte und vor den Füßen auf dem Teppich abstellen musste. Sie enthielt, wie sie sah, eine dunkle, durchsichtige Flüssigkeit, auf der ein paar braune Spelzen schwammen.
Sir Grenville nahm das zweite Schälchen entgegen, worauf der Sekretär wieder ging und die Tür hinter sich verriegelte. Sir Grenville lächelte. «Tee, Miss Slythe. Habt Ihr jemals Tee getrunken?»
«Nein, Sir.»
«Armes Mädchen. Habt nie von Narziss gehört und noch keinen Tee getrunken. Tee, Miss Slythe, wird von Seeleuten unter großen Gefahren aus dem Orient zu uns gebracht, damit wir unsere Freude daran haben. Keine Angst …» Er hatte seine plumpe Hand erhoben. «Alkohol ist nicht darin.» Er beugte sich über seine Schale, schlürfte geräuschvoll und ließ Campion dabei nicht aus den Augen. «Probiert einmal, Miss Slythe. Tee ist sehr kostbar, und ich fände es beleidigend, wenn Ihr meine Gastlichkeit verschmähtet.»
Mit Hilfe des Saums ihres silberblauen Umhangs hob sie die Schale an den Mund. Sie hatte von diesem Getränk gehört, aber noch nie davon gekostet. Es schmeckte unangenehm, geradezu ekelhaft. Sie verzog das Gesicht.
«Mögt Ihr’s nicht, Miss Slythe?»
«Es ist sehr bitter.»
«Wie so vieles im Leben, nicht wahr?» Sir Grenville gab sich freundlich. Es schien, als versuchte er, Entgegenkommen zu zeigen. Die linke Hand kroch wieder auf seine Nascherei zu. «Das ist Quittenkuchen, Miss Slythe. Wäre Quittenkuchen nach Eurem Geschmack?»
«Ja, Sir.»
«Dann müsst Ihr den von Mrs Parton probieren. Sie wohnt in einem kleinen Haus an den Lambeth Stairs. Von dort werden mir jeden Morgen ihre Kuchen, frisch gebacken, zugeschickt. Habt Ihr das Siegel mitgebracht?»
Die Frage kam so unvermittelt, dass sie zusammenfuhr und ihren schönen, neuen Umhang mit Tee bekleckerte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, nutzte aber die Ablenkung, um nachzudenken. «Nein», antwortete sie schließlich.
«Nein was?»
«Ich habe das Siegel nicht mitgebracht.» Sie war von der Heftigkeit seiner Attacke verblüfft.
«Wo ist es?»
«Das weiß ich nicht.»
Sir Grenville Cony starrte sie an,
Weitere Kostenlose Bücher