Das Hexen-Amulett (German Edition)
verziert war, tummelten sich hier, an der Decke der Galerie, spärlich bekleidete oder gänzlich nackte Götter, Göttinnen und Faune. Über der großen marmornen Feuerstelle und einem Gemälde, das Lazen Castle von Norden zeigte, war das Halbrelief einer Gestalt zu sehen, die das überbordende Gepränge in Gips beherrschte. Eine nackte Frau, aufrecht im Streitwagen stehend, mit einem Speer in der erhobenen rechten Hand. Die Ähnlichkeit der Frauengestalt mit Lady Margaret war unverkennbar.
«Gefällt’s dir, Kind?»
«Ja.»
«Warum?» Die Frage klang wie eine Herausforderung.
Campion kannte sich in solchen Dingen nicht aus und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie dachte an das große Gemälde in Sir Grenville Conys Arbeitszimmer, an den nackten, über einen Tümpel gebeugten jungen Mann. Diese Abbildungen in Gips aber waren ganz anders. Während Sir Grenvilles Gemälde etwas Düsteres an sich hatte, wirkten diese nackten Gestalten geradezu unschuldig und verspielt.
«Nun?»
Campion deutete auf die Frau im Streitwagen. «Seid Ihr das?»
Lady Margaret zeigte sich erfreut. «Natürlich. Der Stuckateur, ein Italiener, hat mir damit einen Gefallen tun wollen. Wie ich ohne Kleider aussehe, hat er sich natürlich nur vorstellen können, aber ich muss sagen, er hat mich erstaunlich gut getroffen.» Lady Margaret schmeichelte sich selbst. Die Frauengestalt war vollkommen. «Weißt du, wen dieses Bildnis verkörpert?»
«Nein, Lady Margaret.»
«Diana, die Jägerin.»
Campion lächelte. «Ihr wurde in Ephesus gehuldigt.»
«So ist es», entgegnete Lady Margaret in säuerlichem Tonfall. «Ich vergaß, dass du dich in der Heiligen Schrift auskennst. Schockiert es dich nicht, dass sie nackt ist?»
«Nein, Lady Margaret.»
«Gut. Prüderie zählt gewiss nicht zu ihren Attributen.»
Lady Margaret sprach, als wüsste sie um alle Geheimnisse der Göttin. «Du weißt also nichts und kleidest dich schlecht, liebst aber meinen Sohn. Liebst du ihn?»
Campion nickte verlegen. «Ja, Lady Margaret.»
«George erwähnte etwas von einer unsinnigen Geschichte über zehntausend Pfund im Jahr. Ist sie wirklich Unsinn?»
«Das weiß ich selbst nicht.»
«Erzähl.»
Campion berichtete von dem Siegel, ihrem Treffen mit Sir Grenville Cony und dem Brief, den sie im Geheimfach der Truhe ihres Vaters gefunden hatte. Nach anfänglichem Zögern legte sie ihre Nervosität ab, denn Lady Margaret erwies sich als aufmerksame Zuhörerin, die bei der Erwähnung von Sir Grenvilles Namen verächtliche Laute ausstieß. «Der Froschkönig? Unser kleiner Grenville! Ich kenne ihn. Sein Vater war Bootsbauer in Shoreditch.»
Sie verlangte, das Siegel zu sehen, und schien ungeduldig, als Campion das Schmuckstück an der Kette hervorzog. «Lass sehen. Ah! Venezianisch.»
«Venezianisch?»
«Kein Zweifel. Hierzulande wäre niemand imstande, ein solches Meisterwerk zu schaffen. Du sagst, es lasse sich aufdrehen?» Sie war fasziniert von dem kleinen Kruzifix. «Ein Rekusantenkreuz.»
«Ein was, Lady Margaret?»
«So etwas trugen die Katholiken, als sie von Gesetz wegen an der Ausübung ihrer Religion gehindert wurden. Ein Kruzifix, getarnt als Schmuckstück. Sehr beeindruckend. Enthält auch das Siegel von Sir Grenville ein solches Kreuz?»
«Nein.» Campion beschrieb die silberne Figurine, worauf Lady Margaret in schallendes Gelächter ausbrach.
«Eine nackte Frau!»
«Ja, Lady Margaret.»
«Wie unpassend!» Lady Margaret lachte immer noch. «Sir Grenville würde vor einer nackten Frau Reißaus nehmen. Nein, mein Kind, seine Vorlieben liegen woanders, nämlich eher in entgegengesetzter Richtung.» Mit Blick auf Campion fügte sie hinzu: «Du hast nicht die leiseste Ahnung, wovon ich spreche, oder?»
«Nein.»
«Welche Unschuld. Und ich dachte, so etwas gäbe es gar nicht mehr nach dem Sündenfall. Und wie steht’s mit Sodom und Gomorrha, Kind?»
«Davon habe ich gehört.»
«Nun, Sir Grenville wäre liebend gern der Froschkönig von Sodom. Alles Weitere erkläre ich dir später, meine Liebe.» Sie schraubte die beiden Hälften des Siegels wieder zusammen und gab es Campion zurück. «Pass gut darauf auf. George hat deine Geschichte nicht geglaubt. Nun ja, er kann manchmal recht töricht sein. Aber ich bin mir sicher, dass seine Prinzipien ins Rutschen geraten wie die Ziegel auf dem Dach des Alten Hauses.»
Campion war inzwischen selbstsicherer, nicht nur, weil die zehntausend Pfund ihre niedere Geburt gewiss vergessen machen würden,
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