Das Hexen-Amulett (German Edition)
Kind. Wie soll ich dich nennen?»
«Toby nennt mich Campion.»
«Ich weiß. Ein seltsamer Name, aber er passt. Na schön. Komm her, Campion.»
Sie deutete auf ihren Arbeitstisch. Darauf lag zwischen Farbtöpfen, Pinseln und beschmiertem Papier ein winziges Porträt. Lady Margarets jüngste Lieblingsbeschäftigung war das Malen von Miniaturen, die sie meist aus der Erinnerung anfertigte, denn die Dienstboten machten sich rar, wenn Lady Margaret nach jemandem suchte, der ihr Modell saß. Das kleine Werk, auf das sie zeigte, sollte Sir George darstellen, was Campion allerdings nicht erkannte. Sie sah einen eiförmigen Kopf mit schiefstehenden Augen, krummem Mund und kahlem Haupt, auf dem ein Fleck war, der wie Vogelmist aussah. Genau das hatte auch Toby gesagt, als seine Mutter ihn um seine Meinung gebeten hatte: dass es sich anscheinend um Vogelmist handele. Lady Margaret hatte damit allerdings die graumelierten Schläfen ihres Gatten kenntlich machen wollen. «Wie findest du’s, Campion?»
«Wunderschön.»
«Du hast also schon gelernt zu lügen.»
Campion lachte. «Ich finde es wunderschön.»
Lady Margaret schmunzelte. «Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. Zuerst werden wir dich ein wenig herrichten, Kind, und dann schicken wir Toby nach Oxford. Komm.»
Sie ging mit forschen Schritten voran, majestätisch wie Diana in ihrem Streitwagen, der Scharen von nackten Gipsgottheiten die Ehre erwiesen.
«Dass er für dich getötet hat, war sehr schlau von Toby. So etwas hat George für mich noch nie getan. Ich werde von ihm verlangen, dass er das nachholt, sobald er zurückkommt. Die Straße nach Shaftesbury soll gepflastert sein mit erschlagenen Nebenbuhlern. Komm, Kind, trödle nicht. Und halt dich gerade. Schultern zurück. Du bist hier auf Lazen und nicht im Jammertal von Werlatton. Schlafen wirst du hier, gleich neben meinem Zimmer in der Kammer von Caroline, Tobys jüngerer Schwester. Sie ist sechzehn und sollte bald unter der Haube sein. Was trägst du da eigentlich an den Füßen? Du hörst dich an wie ein Karrengaul. Gütiger Himmel, nennst du so etwas Schuhe? Zieh sie sofort aus. Ich werde sie verbrennen lassen. Warum lächelst du? Glaubst du etwa, dass du zum Vergnügen hier bist?»
Campion lächelte, sie war vergnügt – glücklich, in Lazen zu sein.
Sir Grenville Cony stand noch unter dem Schock der Nachricht, dass sein treuer Diener Grimmett getötet worden war. Und das Mädchen entflohen, gerettet von einem Kerl, der Grimmett niedergestochen hatte. Der Advokat war außer sich vor Wut gewesen und hatte wie ein waidwundes Tier geschrien, nicht zuletzt wegen der Schmerzen in seinem Wanst. Ihm war, als wälzte sich darin eine riesige Schlange mit giftigen Zähnen, und nicht einmal die von Dr. Chandler verordnete Diät aus Ziegenmilch und Taubenfleisch vermochte diese Schmerzen zu lindern.
Jetzt erreichten ihn weitere schlechte Nachrichten. Er war aus einer Sitzung im Unterhaus gerufen worden, einer hitzig geführten Debatte, in der es darum ging, wie das von den Royalisten beschlagnahmte Eigentum verwendet werden sollte. Sir Grenville Cony hatte zwar sicherstellen können, dass alles beim Alten blieb, war aber gezwungen gewesen, den geschwätzigen Dummköpfen der Regierung Honig ums Maul zu schmieren und ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Meinung von Belang sei. Sein Sekretär wartete vor dem Portal der Westminster Hall auf ihn. «Sir Grenville?»
«Worum geht’s?»
«Um das hier. Von Cottjens.»
Sir Grenville nahm einen Brief entgegen, den sein Sekretär bereits geöffnet, gelesen und für so wichtig erachtet hatte, dass er unverzüglich damit zum Parlamentsgebäude geeilt war. Sir Grenville überflog das Schreiben, warf dann einen zweiten Blick darauf und fing an zu knurren. «Dieses Miststück. Dieses jüdische Miststück. Dieses dreckige jüdische Miststück!»
Julius Cottjens war Kaufmann an der Amsterdamer Börse. Er handelte nicht nur mit Tüchern und edlen Gewürzen, sondern auch mit geheimen Informationen, für die er hohe Preise erzielte, denn er galt in der Welt der Gerüchte als besonders zuverlässig und glaubwürdig. Julius Cottjens war angeblich äußerst diskret, außerordentlich neugierig und mit einem erstaunlichen Erinnerungsvermögen ausgestattet. Für seine jüngste Nachricht an Sir Grenville Cony aber hatte er auf keine dieser Fähigkeiten zurückgreifen müssen. Sir Grenville zählte schon seit langem zu seinen Kunden. Zwischen den beiden war
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