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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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stand da. Ein frisches Huhn rupfen und gründlich abbrühen und dann mit Karotte und Sellerie kochen. Mit Salz und Pfeffer würzen. Mit ein wenig Brühe ablöschen und Sahne hinzugeben. Etwa sechs Stunden köcheln lassen. Gut mit weißem Reis. Während sie die Karte las, sah Connie Granna vor
sich, wie sie in der Küche des Hauses stand, das stahlgraue Haar am Hinterkopf zusammengesteckt, die linke Hand abgeknickt und auf ihrer etwas in die Breite gegangenen Leibesmitte abgestützt, wie sie einen langen Holzlöffel in einen blubbernden Topf steckte. Das Aroma von gekochtem Huhn geisterte durch ihre Erinnerung, und Connie stellte sich vor, wie Granna langsam den Kopf drehte und über die Schulter hinweg zu der Stelle schaute, wo Connie stand und sagte: Noch etwa eine Stunde. Connie schob die Karte ans Ende des Stapels und schaute, was nun oben lag.
    Gekochter Hummer, stand auf der neuen Karte. Die lebenden Hummer vorsichtig waschen und dann in einen Topf mit gesalzenem, kochendem Wasser und gut schließendem Deckel werfen. Majoran gegen den Schmerz hinzufügen. Kochen, bis sie leuchtend rot sind; hängt von der Größe ab. Mit Zitronenschnitz und geschmolzener Butter servieren. Zum Öffnen braucht man einen Nussknacker. Connie schob mit den Zehen ihre Sandalen von den Füßen und rollte sich im Gras auf den Bauch. Während sie die Rezeptkarte in der Hand hielt, stand auf einmal ein älterer, bärtiger Mann vor ihrem inneren Auge, der eine ausgeblichene Kapitänsmütze auf dem Kopf und Augen mit vielen Lachfältchen hatte. Er stand vor der Fliegengittertür der Küche und hob die Hand, um zu klopfen. Granna stellte den Besen an die Stelle, wo er heute noch stand, hielt die Tür mit einer Hüfte offen, nahm von dem Mann eine Holzkiste entgegen und sagte: Mir tun sie immer so leid, worauf der Mann erwiderte: Diese Woche waren’s ein paar mehr, Sophier.
    »Granna«, flüsterte Connie und fragte sich, was für ein anderes Bild von ihrer Großmutter wohl noch aus der schnörkellosen Handschrift auf diesen Karten aufsteigen würde. Klappt besonders gut mit Tomaten, und Connie hörte Grannas Stimme, wie sie das Wort Tomaten sagte, doch die Schrift darunter war nur schwer zu erkennen, weshalb Connie sich
darüber beugte, die Karte ganz dicht an ihre Nase hielt und die Augen zusammenkniff, um im Schatten des Baumes die flüchtigen Umrisse der Buchstaben zu erkennen. Auf dem grasigen Untergrund hielt sie die Karte fest in den Händen und sprach jede Silbe langsam und für sich aus.
    » Pater in … caelo « , begann sie und fragte sich, wie es kam, dass Granna ein Rezept auf Lateinisch verfasst hatte. » Te oro et obsec … obsecro in ben … benignitate tua. « Sie senkte den Blick und packte die Karte fester, weil ihre Hände auf einmal prickelten und sich heiß anfühlten, als wäre sie damit an Brennnesseln gekommen.
    » Ut sinas hanc herbam, vel lignum. « Die Hitze und das Brennen wurden noch stärker, näherten sich fast der Schmerzgrenze, und sie blinzelte rasch, während die Karteikarte von einem runden, bläulichen Schimmer beleuchtet zu sein schien. Sie verzog das Gesicht, um den unwahrscheinlichen Schmerz abzuwehren, und sprach leise den Rest des Textes vor sich hin. » Vel plantam crescere et vigere catena temporis non vinctam. «
    Das blaue Licht verdichtete sich zu einem pulsierenden runden Kreis zwischen ihren Händen, der kleine knisternde Blitze aussandte. Sie trafen auf einen trockenen Löwenzahnsamen, der am Boden lag. Erschrocken öffnete Connie die Lippen und riss vor Erstaunen die Augen weit auf, als der Samen zu pulsieren und pochen und Blasen zu werfen begann, dann ein schlanker, zarter Stängel daraus hervorschoss, immer höher und höher, und an der Spitze schließlich in einer gelben Blume explodierte. Bevor sie ganz begriffen hatte, was sie da sah, verwandelte sich auch die gelbe Blüte und wurde zu einer dicken, weißen Pusteblume.
    Wie gebannt starrte Connie auf das, was da gerade geschehen war, und ließ die Hände sinken, die der Schmerz ebenso urplötzlich wieder verließ, wie er vorhin gekommen war. In
diesem Moment erfasste ein Windstoß die Pusteblume und trug die zarten kleinen Samen mit sich fort, bis sich alles in Nichts auflöste.
    »O mein Gott«, flüsterte sie und blickte erstarrt auf den abgestorbenen Stängel der Pusteblume, der blitzschnell verwelkte und in den Boden zurücksank, aus dem er gekommen war.

ZWEITER TEIL
    SIEB UND SCHERE
    Am Anfang war das Wort,
und das Wort war bei

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