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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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erreichte, und ließ zarte kleine Schösslinge, prallvoll mit jungen Blättchen emporsprießen. Als Connie die Hände sinken ließ, erfüllte der Geruch von feuchter Erde das Esszimmer, und die Grünlilie hing in neu erstandener Pracht in ihrer Blumenampel von der Decke, schwankte ein wenig in der schwülen Abendluft.
    Connie taumelte rückwärts, suchte Halt am Esstisch, ihr Atem kam nur in kurzen, flachen Stößen. Heiße Tränen traten ihr in die Augen, und ihr wurde bewusst, dass sie mit jedem Atemzug ein kleines, ängstliches Wimmern von sich gab. Mit der Hand ertastete sie den Rücken eines der geschnitzten Stühle und zog ihn gerade rechtzeitig an sich heran, um nicht zu stürzen. Voller Entsetzen schlang sie die
Arme um ihre Leibesmitte und beugte sich vornüber, legte die Stirn auf die Knie. Aus ihrem Mund kam ein kurzatmiges Schluchzen, das klang wie ein Schluckauf.
    Langsam bewegten sich die Puzzleteile in ihrem Kopf aufeinander zu, ein jedes mit einem Frauengesicht darauf, sie drehten und berührten sich, bis sie sich zu einem ganzen Bild zusammenfügten. Vor ihrem inneren Auge schwebte Grannas Gesicht vorbei, das dunkelgraue Haar streng zurückgekämmt, die blassblauen Augen schimmernd, während sie eine dicke, glänzende Tomate von dem Strauch draußen im Garten in den Händen hielt. Dieses Bild löste sich auf und verwandelte sich in das Konterfei einer jungen Frau mit rosigen Wangen, das Gesicht eingerahmt von einer makellosen weißen Haube, den schlichten puritanischen Kragen über die Schultern gebreitet – Deliverance, oder wie sich Connie Deliverance vorstellte. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, während sie aus einem großen Buch vorlas. Dann eine verhärmte Frau mit gebräuntem Gesicht und einer Morgenhaube, müde – Prudence, wie sie einer nicht sichtbaren Person über einen Tisch hinweg ein Päckchen zuschob. Und als Letztes sah Connie Grace, das glatte Haar, das ihr bis über die Schultern fiel, in der Küche ihres Hauses in Santa Fe mit den Dachsparren, wie ihre Hände nur wenige Zentimeter über dem Kopf einer weinenden Frau schwebten.
    Und alle hatten sie blasse, eisig blaue Augen.
    Connie richtete sich auf und rieb sich mit den Handflächen über die gerötete Stirn. Als sie die Hände wieder sinken ließ, sah sie zuerst Arlo, der das Kinn in ihren Schoß gelegt hatte und sie besorgt anschaute, und hinter ihm, an der Wand, die Frau auf dem Porträt, welches, was Connie bislang noch nicht bemerkt hatte, eine winzige gravierte Plakette mit der Aufschrift TEMPERANCE HOBBS trug – eine Frau mit
den typischen ungepolsterten Schultern und der Wespentaille des neunzehnten Jahrhunderts, die sie mit einem kleinen wissenden Lächeln beobachtete.
    »Das kann doch nicht wahr sein!«, flüsterte sie, schlang die Arme fester um sich und begann, sich auf dem Esszimmerstuhl vor und zurück zu wiegen. Zuerst dachte sie an Grace, dass sie unbedingt auf der Stelle mit ihr sprechen musste. Aber Granna! Connies Blick flitzte wie wild im Haus herum, fiel auf die wenigen, schwarz angelaufenen Einweckgläser im Esszimmer, die kleine Maiskolbenpuppe mit ihrem Kleidchen aus Baumwollköper und dem Schleifchen aus Zwirn, die auf dem Kamin saß. Und sie dachte an Deliverances Namen, der tief verborgen in einer Familienbibel steckte.
    Den Kreis, den jemand auf ihre Tür eingebrannt hatte.
    Connie sprang auf, rannte zum Telefon.
    Genau in dem Moment, als sie in der Diele ankam und den Telefonhörer in die Hand nahm, öffnete sich die Haustür einen Spalt breit. Sie erstarrte.
    »Connie?«, fragte Sam und spähte in die Eingangshalle. Als sie seine Stimme hörte, stieß sie einen Schrei der Erleichterung aus, ließ den Hörer fallen und schlang die Arme um seinen Hals. Sie atmete den salzigen Geruch seiner Haut ein, in dem auch ein Hauch Chemie von den Farbspritzern in seinem Pferdeschwanz hing. »He«, sagte er, von ihrer stürmischen Begrüßung etwas überrumpelt, und hielt die Arme kurz wie eine beschützende Hülle um ihren bebenden Rücken, bevor er sie nach unten wandern ließ und um ihre Taille legte. Sie klammerte sich noch fester an ihn, als könnte sie den Widerstand aus seinen Muskeln wringen wie eine zähe Flüssigkeit, schmiegte ihr Kinn an die Stelle, wo seine Schulter am Hals ansetzte, bis sie spürte, dass seine Überraschung am Abklingen war und er sich entspannte. So standen sie einen Moment lang da, er hielt sie in den Armen, die Haustür
stand immer noch offen. Arlo kam aus dem Esszimmer und

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