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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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vielerlei Hinsicht die letzte Bastion des mittelalterlichen Verhältnisses zwischen Lehrmeister und Lehrling dar. Darüber hatten Liz und sie schon oft diskutiert. Der Meister nimmt den Lehrling auf, er unterrichtet ihn in seiner Handwerkskunst, teilt mit ihm die Betriebsgeheimnisse seiner Zunft. Der Lehrling wird zu einer Art Eingeweihtem, der schrittweise immer mehr Einblick und vermehrt Zugang zu den Mysterien der Zunft erhält. Nicht, dass es allzu viele akademische Themen gäbe, die noch sehr mystisch wären. Dennoch spiegelten sich in der Kunstfertigkeit des Lehrlings stets auch die Fähigkeiten seines Meisters wider. Connie wurde bewusst, dass Chilton sie offenbar mittlerweile als einen persönlichen Gewinn betrachtete, und dass diese neue Stufe des Ansehens auch mit einer höheren Verantwortung einhergehen würde. Chilton hatte Pläne mit ihr.
    »Natürlich kristallisieren sich allmählich ein paar Ideen heraus«, begann sie, »aber es steht noch nichts fest. Hatten Sie denn etwas im Sinn?«
    Er betrachtete sie einen Moment lang, und sie sah etwas fast Schlangenhaftes hinter seinen wachen, undurchdringlichen Augen aufblitzen. Dann, ganz plötzlich, verschwand das Glitzern und machte wieder der leicht amüsierten Distanziertheit Platz, die er gewöhnlich zur Schau trug. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, drückte eines seiner knochigen Knie gegen die Tischkante und winkte abschätzig mit
einer runzligen Hand. »Eigentlich nicht. Ich möchte Ihnen nur dringend dazu raten, sich nach neuen Primärquellen umzusehen. Wir müssen Ihre Karriere strategisch planen, mein liebes Mädchen, und das können wir nicht tun, wenn Sie nur immer wieder dieselben alten Archive besuchen. Mit einer wirklich neuen, bislang unentdeckten Quelle könnten Sie sich einen echten Namen machen, Connie«, sagte er und schaute sie scharf an. » Neu. Neu sollte die Parole sein.«
    Paole, dachte Connie. Wenn ich nicht auf der Stelle hier die Flatter mache, könnte es sein, dass ich etwas sage, mit dem ich mich ziemlich in die Nesseln setze. Warum er sich allerdings überhaupt die Mühe machte, ihr zu sagen, sie solle nach neuen Quellen Ausschau halten, begriff sie nicht ganz. Vielleicht würde er ihr ja ein anderes Mal sagen, was genau er im Sinn hatte. »Ich verstehe, Professor Chilton. Ich werde mir ernsthaft Gedanken darüber machen. Vielen Dank.«
    Connie stand auf, schlüpfte mit den Armen in ihre Cabanjacke, zog sich den Schal bis über die Nase und stopfte ihren Zopf unter eine gestrickte Bommelmütze. Chilton nickte anerkennend. »Dann geht es also jetzt zum Feiern«, sagte er, und Connie musterte ihn mit einem schmalen Lächeln.
    »Abner’s«, bestätigte sie und wünschte sich insgeheim, er würde nicht sagen, er wolle mitkommen.
    »Sie haben es sich verdient. Viel Spaß!«, sagte er. »Bei unserem nächsten Treffen werden wir diese Idee noch weiter konkretisieren.« Er machte keine Anstalten, aufzustehen und ihr zu folgen, sondern schaute ihr hinterher, während sie sich für die frische Frühlingsluft draußen wappnete. Als sich die Tür hinter ihr schloss, verschwand auch der letzte Streifen Sonnenlicht vom Fenster, und im Konferenzsaal wurde es dunkel.

ZWEI
     
     
     
     
    S eit sie vor drei Jahren nach Harvard gekommen war, bewohnte Connie mit Liz drei dunkle, holzgetäfelte Räume in einem Gebäude, in dem sich noch vor einem Jahrhundert ein Wohnheim für gesellschaftsfähige junge Harvard-Studenten befunden hatte. Heutzutage beherbergte es einzelne Grüppchen von Studenten der Graduate School, die mit gesenkten Köpfen fleißig zwischen der Bibliothek und ihrer Wohnung hin und her eilten. Über die Jahrzehnte war die Gilded-Age-Pracht von Saltonstall Court unter dicken Schichten Tabakrauch, Luftverschmutzung und Blitzzement dahingeschwunden.
    Manchmal hatte Connie das Gefühl, sie könne die Verachtung des Gebäudes für sein wechselhaftes Schicksal mit Händen greifen. Die dunklen Eichenregale, auf denen sich mittlerweile Connies historische Wälzer und Liz’ Lateinklassiker drängten, hatten Generationen von kniffligen griechischen Lehrbüchern und Gibbons Aufstieg und Fall des Römischen Reiches beherbergt. Selbst der gemauerte Kamin strahlte Geringschätzung aus und würgte bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie ein Feuer anzündeten, hauptsächlich Rauch und Asche hervor. Connie versuchte sich all die gesichtslosen, längst verblichenen jungen Männer vorzustellen, die einst diese Räumlichkeiten bewohnt

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