Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
Hüter der Stadtmauer. Man munkelte, er habe sich sogar für eine volle Mitgliedschaft in der Kirche beworben. Appleton empfand Widerwillen gegenüber einem Mann, der seinen rechten Platz im Leben nicht kannte. Die anderen drei Geschworenen waren ihm nicht geläufig – sehr wahrscheinlich handelte es sich um Handwerker aus der Gegend, die über genügend Besitz verfügten, um sich in den
Dienst der Stadt zu stellen, aber dennoch zum Mittelstand gehörten.
    Appleton gab dem Gerichtsschreiber, einem schmalen, stets aufgeregten jungen Mann namens Elias Alder, ein Zeichen. Der kleine Schreiber sprang ungelenk auf, schob dem Richter quer über den Tisch hinweg einen dicken Stapel Papier zu und zog sich auf die Seite zurück, die Spitze seines Gänsekiels fahrig zum Munde geführt. Am Ende des Gerichtstages würde seine Unterlippe schwarz vor Tinte sein, dachte Appleton. Er hielt sich das Dokument auf Armeslänge vor die Augen und versuchte, Elias’ Gekrakel zu entziffern. Vier Rechtsstreitigkeiten standen an diesem Nachmittag an. Er seufzte noch einmal, gab dem Schreiber sein Papier zurück und nickte. Das Pochen in seiner Zehe war nicht besser geworden.
    Der Schreiber räusperte sich, sein Adamsapfel geriet gewaltig ins Wackeln, und langsam ebbte das Gemurmel im Versammlungssaal ab.
    »Deliverance Dane gegen Peter Petford wegen übler Nachrede!«, verkündete er, und das versammelte Volk brach in immer lauter werdende Meinungsäußerungen aus, die ganze fünf Minuten andauerten.
    »Genug!«, bellte Appleton, und der Aufruhr legte sich, ohne ganz zu verstummen. Der Richter ließ einen vernichtenden Blick über die versammelte Menge schweifen und schaute gebieterisch in die auf ihn gerichteten Gesichter. Als er spürte, dass die Aufmerksamkeit der Menge wieder ihm gehörte, fügte er hinzu: »Gevatterin Dane, tragt Euren Fall vor.«
    Eine junge Frau erhob sich aus der ersten Reihe der vereidigten Zeugen und strich sich dabei die Röcke glatt. Ihr Kleid war in einem schmucken Taubengrau gehalten, und auch ihr Kragen und die bescheidene Kopfbedeckung wirkten
unwahrscheinlich frisch und weiß für eine Frau ihres Standes. Ein schwerer Knoten aus borkenbraunem Haar ruhte in ihrem Nacken, gerade eben sichtbar unter ihrer Haube, und ihre weichen Wangen strotzten nur so vor Wärme und Gesundheit. Appleton wusste, dass die Frau im Dorf ins Gerede gekommen war, hatte sie jedoch noch nie zuvor gesehen. Sie trug eine gelassene Miene zur Schau, die wie ein Schleier über der unverkennbaren Selbstsicherheit lag, welche ihr Antlitz ausstrahlte. Appleton kam der Gedanke, dass man bei manch einem Weib solche Selbstsicherheit durchaus mit Hochmut verwechseln könnte.
    Sie schaute zu ihm empor, und einen Moment lang glaubte er in dem kühlen Ausdruck ihrer Augen zu baden. Während die junge Frau seinem Blick standhielt, hatte er das Gefühl, als trete der geschäftige Gerichtssaal in den Hintergrund, und ein ihm gänzlich unvertrautes Prickeln drang in seine Stirn wie ein Sonnenstrahl. Appleton hatte das Gefühl, mit seinem eiternden Zeh in einen kalten, leise murmelnden Bach zu steigen, und die Taubheit, die das kalte Wasser verursachte, riss den dumpfen Schmerz mit sich fort. Ohne dessen gewahr zu werden, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann war der Moment urplötzlich wieder vorüber, der Richter schüttelte sich, blinzelnd, und der Lärm des Gerichtssaales stürzte erneut auf ihn ein. Vorsichtig streckte er den Fuß in seinem Schuh, und der Zeh erhob keinerlei Einwände. Er schaute sie scharf an. Diese Dane trug ein kleines, wissendes Lächeln auf den Lippen.
    Sie griff in ihre Tasche, die sie sich umgegürtet hatte, und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Sie klappte es auf und begann laut, aber in weichem Tonfall daraus vorzulesen.
    »Hiermit lege ich Zeugnis ab, dass mich am Neujahrsabend besagter Petford zu sich bat, damit ich nach seinem
Kind sehe, das erkrankt sei – eine Erkrankung, von der er vermutete, sie sei durch bösen Willen auf das Mädchen herabbeschworen worden. Ich fand Martha, Petfords Tochter, ein etwa fünfjähriges Mädchen, mit schmerzendem Kopf und im Fieber vor. Es war mehr tot als lebendig. Ich braute eine Medizin für besagte Martha und verabreichte sie ihr, woraufhin sie ruhiger wurde und in Schlaf fiel. Während sie einschlief, lief besagter Petford herbei und klagte, bestimmt liege ein böser Zauber auf seiner Tochter, die schon eine ganze Woche dahingesiecht war. Ich

Weitere Kostenlose Bücher